Weniger anecken: So geht's
Egal ob Sie introvertiert oder extrovertiert sind: Sie können Ihre Persönlichkeit flexibler gestalten. Tipps, die im Job und bei Beziehungen helfen – von Persönlichkeitspsychologe Boele de Raad und Coach Hilde Mariën
1. AM ARBEITSPLATZ
Introvertierte haben mehr Probleme mit Großraumbüros, Teamwork, Präsentationen und Brainstorming.
- Versuchen Sie, sich passende Fähigkeiten anzueignen, etwa indem Sie einen Kurs "Sprechen in der Öffentlichkeit" belegen oder sich immer wieder zu etwas überwinden und so erleben, dass es nicht so schlimm ist.
- Ein Meeting steht an, und es fällt Ihnen schwer, spontan Ideen in die Runde zu werfen? Bitten Sie den Chef, die Tagesordnung vorab herumzuschicken. Das gibt Ihnen die Gelegenheit, sich vorzubereiten, und Sie fühlen sich wohler, wenn Sie dann Ihre Ideen vor allen verteidigen sollen.
- Im Team besteht das Risiko, dass sich die Gegensätze zwischen Intro- und Extrovertierten manifestieren. Über gemeinsame Ziele nachzudenken hilft, Unterschiede zu überwinden: Welches Ergebnis wollen Sie zusammen erreichen? Welche Vision haben Sie von einem Projekt?
- Sich auf gemeinsame Ziele zu konzentrieren führt auch dazu, dass die unterschiedlichen Talente der Beteiligten gefordert werden, was ausgesprochen effizient sein kann. Introvertierte können oft besser zuhören, Extrovertierte haben mehr Überzeugungskraft. Sie denken in die Breite und behalten dadurch die Deadline im Auge; Introvertierte gehen in die Tiefe und bemerken Details, die andere übersehen.
2. IN BEZIEHUNGEN
Klar und offen zu kommunizieren hilft, die Absichten des jeweils anderen zu erkennen, Missverständnisse aufzuklären oder sogar zu vermeiden.
Extrovertierte Menschen reden über Gott und die Welt, um das Eis zu brechen, und gehen später in die Tiefe. Introvertierte schneiden schneller ernste Themen an und fassen so Vertrauen zu ihrem Gesprächspartner – um dann über Oberflächliches reden zu können. Sehen Sie Small Talk als soziales Ritual: eine leichte Art, in Kontakt zu kommen und Interesse zu zeigen.
Introvertierte denken gern zuerst nach, betrachten etwas in aller Stille aus verschiedenen Blickwinkeln und äußern dann ihre Meinung. Für einen extrovertierten Menschen kann diese Stille verwirrend sein, und er interpretiert sie als mangelnde Begeisterungsfähigkeit, Desinteresse oder sogar Ablehnung – vor allem, wenn er von Natur aus etwas unsicher ist. Machen Sie ihm daher klar, dass Sie kurz über das Gesagte nachdenken müssen. Das zeigt, dass Sie vielleicht durchaus begeistert sind, aber ein wenig Zeit brauchen.
Extrovertierte lieben es, laut nachzudenken. Sie ordnen so ihre Gedanken und Erlebnisse und kommen übers Reden auf neue Erkenntnisse. Für Introvertierte mag das wirken, als würde man dauernd seine Meinung ändern und nicht wissen, was man will. Da hilft, sich klarzumachen, dass man nicht auf jede Idee eines Extrovertierten eingehen muss. Lassen Sie ihn ruhig ein wenig rumspinnen und fragen am Ende, was sein Fazit ist. Extrovertierte sollten erklären, dass sie nur laut denken und sich dabei womöglich auch mal widersprechen.
Extrovertierte Menschen gehen davon aus, dass ihr Gesprächspartner schon von sich aus erzählt; Introvertierte warten, bis man ihnen Fragen stellt. Daher reden Extrovertierte gern weiter, aus Begeisterung für ihr Thema. Man kann sich von diesem Redefluss überflutet fühlen, ihn aber auch als Kompliment auffassen. Fallen Sie ruhig ins Wort, um von sich selbst zu erzählen oder das Thema zu wechseln. Introvertierte werden nicht gern unterbrochen, Extrovertierte finden das aber meist nicht schlimm.
3. IN DER LIEBE
"Gemischte" Beziehungen haben gute Erfolgschancen.
In Beziehungen zwischen Intro- und Extrovertierten, das zeigte eine deutsche Studie mit 6909 Paaren, sind drei der Big-Five-Eigenschaften ausschlaggebend: Je mehr sich beide in Sachen Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und Offenheit für neue Erfahrungen ähneln, desto länger bleiben sie beisammen. Dabei ist vollkommen egal, wie extrovertiert und emotional stabil beide sind. Anders gesagt: Ein Chaot und ein Ordnungsfan sind eine schwierige Kombination, aber ein gesprächiger und ein schweigsamer Mensch können ein wunderbares Paar abgeben. Wichtig ist dabei aber, in Werten und Zielen wie Treue, Finanzen und Kinderwunsch auf einer Linie zu sein.
Um Temperamentsunterschiede zu überbrücken, sind Selbsterkenntnis, Akzeptanz des anderen und kreative Lösungen gefragt. Wer sich seiner Stärken und Schwächen bewusst ist und an sich glaubt, kommt besser damit klar, wenn der Partner anders gestrickt ist. Wer mit sich selbst unzufrieden ist, sieht Unterschiede schneller als Bedrohung. Wer sich und den anderen so akzeptiert, wie er ist, dem fällt es leichter, kreative Lösungen für entgegengesetzte Bedürfnisse zu finden. Ein klassisches Beispiel ist das des introvertierten Mannes, der nicht gern feiert, und der extrovertierten Frau, die gerade das liebt. Sie können vereinbaren, dass er einmal im Monat mit ausgeht, aber nicht unter Druck gesetzt wird, dann mit jedem zu reden oder zu tanzen.
Partner unterschiedlichen Temperaments können einander verstärken und ergänzen. Wie der überschwängliche Ex-Präsident Franklin D. Roosevelt und seine schüchterne Frau Eleanor: Als gute Zuhörerin war sie sein soziales Gewissen, und er half ihr, sich aus dem Schneckenhaus herauszuwagen.
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Dieser Artikel war Teil der Geschichte "Extrovertiert & Introvertiert" in Ausgabe 2/2017 von PSYCHOLOGIE bringt dich weiter. Dieses Heft ist leider vergriffen, aber falls Sie sich für andere Ausgaben von PSYCHOLOGIE bringt dich weiter interessieren, schauen Sie gern im Shop vorbei.