Was steckt hinter Hochsensibilität?
Psychologen sind sich mittlerweile sicher: Hochsensibilität existiert und sogar jeder fünfte ist betroffen. Was die Forschung sonst noch darüber weiß
Humbug. Anstellerei. Oder bestenfalls: eine Modediagnose. So denken manche Leute über Hochsensibilität. Aber da täuschen sie sich. Hochsensibilität ist wissenschaftlich belegt, inzwischen von Dutzenden Forschern. Bloß wird sie oft anders genannt, etwa „sensory processing sensitivity“. „Hochsensibilität ist einfach ein sexy Wort für: empfindlicher auf Reize reagieren“, sagt Elke Van Hoof, Professorin für Psychologie an der Vrije Universiteit Brüssel, die eine groß angelegte Studie zu diesem Thema geleitet hat.
Im Rahmen einer anderen wichtigen Studie zum Thema Hochsensibilität sollten sich Versuchspersonen verschiedene Fotos von Gesichtsausdrücken angucken. In MRT-Scans war währenddessen zu sehen, dass bei hochsensiblen Personen mehr Gehirnareale aufleuchteten; insbesondere die Bereiche, die mit Bewusstsein, Aufmerksamkeit, Empathie, Integration sinnlicher Wahrnehmungen und der Planung von Handlungen zu tun haben. Zurzeit gehen Forscher davon aus, dass Menschen, die nicht hochsensibel sind, eine Art Filter in ihrem Informationsverarbeitungssystem haben. Die so ausgesiebten Informationen werden im Gehirn verarbeitet. Hochsensiblen fehlt dieser Filter; somit strömen sehr viele Informationen auf sie ein, die alle „beachtet“ werden wollen. Das kann dazu führen, dass diese Menschen schneller reizüberflutet sind oder müde, emotional und lärmempfindlich reagieren, also die für Hochsensibilität typischen Reaktionen zeigen.
Psychologen sind sich darin einig, dass etwa 15 bis 20 Prozent der Menschen hochsensibel sind. Experten gehen davon aus, dass Hochsensibilität genetisch bedingt ist, obgleich das noch näher erforscht werden muss. Es handelt sich nicht um eine Abweichung oder Störung, sondern um ein Persönlichkeitsmerkmal, das sowohl Vor- als auch Nachteile hat und zugleich Talent wie Achillesferse ist. Elke Van Hoofs neue Studie mit 1500 Leuten zwischen 26 und 55 Jahren hat dies erstmals wissenschaftlich untermauert. Dabei stellte sich heraus, dass Hochsensible es häufiger mit Angststörungen, Depressionen und dem Burn-out-Syndrom zu tun bekommen. Sie haben jedoch auch ein stärker entwickeltes Gerechtigkeitsgefühl und einen geschärften Blick fürs Detail, für Chancen, wunde Punkte und faire Lösungen. Sie sind analytisch stärker und können Menschen gut zusammenbringen. Dadurch sind Hochsensible in Beziehungen wie Karriere oft erfolgreich. Allerdings – und auch da waren die Ergebnisse der Studie eindeutig – brauchen sie dafür auch das richtige Umfeld.
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