"Unser Zuhause stand in Flammen"
Tonia (44) musste hilflos zusehen, wie das Haus ihrer Familie komplett ausbrannte. Wie lebt man weiter, wenn nichts mehr so ist, wie es war?
Mitten in der Nacht wurde ich wach. Es waren Herbstferien, und die Kinder hatten am Tag zuvor eine tolle Zeit mit ihren Freunden verbracht. Ich blickte zur Seite, um zu sehen, wie spät es war, aber der Wecker funktionierte nicht. Ich stutzte – und hörte ein seltsames, knisterndes Geräusch. Als ich runter ins Wohnzimmer kam, merkte ich sofort, dass etwas nicht stimmte. In dem Raum hing eine Art Nebel, und um die Lampe herum schlugen Flammen aus der Decke. In so einem Moment denkt man nur noch eins: Nichts wie weg hier!
Sofort weckte ich meinen Mann René, und gemeinsam holten wir die Kinder aus dem Bett. Keine Sekunde dachten wir daran, auch nur irgendetwas mit ins Freie zu nehmen – außer dem Hund. Als wir draußen standen, hörten wir, wie die Lampe fiel. Ein lauter Knall, und das Feuer schlug sofort durch in die untere Etage.
Dummerweise hatten wir nicht einmal ein Telefon zur Hand, daran denkt man in dem Moment ja nicht. So schnell es ging rannten wir zu Renés Bruder, barfuß und im Pyjama. Er wohnt hundert Meter weiter. Erst dort riefen wir die 112 an. Die Feuerwehr war in wenigen Minuten vor Ort, konnte aber nichts mehr ausrichten. Unser wunderbares Haus, in dem wir schon fast 20 Jahre gewohnt hatten, unser alter, hölzerner Wohnbauernhof am Waldrand und dem Ende einer Sackgasse, vollkommen frei stehend – nichts blieb davon übrig.
René lief zum Haus zurück, ich setzte mich ganz allein auf eine Bank. Ich konnte das nicht mit ansehen, es war zu hart für mich. Mir ging alles Mögliche durch den Kopf, ich dachte an die seltsamsten Sachen. Den verspielten Hut, den ich mit einer Freundin geshoppt hatte, unsere schönen Lampen und natürlich die vielen Fotos … Alles weg. Ich hatte nur noch den Pyjama, den ich trug.
Später bekam ich von der Feuerwehr noch eine Tüte mit einigen Fotoalben, aber ich traute mich kaum, sie zu öffnen. Sie waren angekokelt oder halb verbrannt. Aber sonst – gibt es nichts mehr. Die Babyfotos unserer drei Kinder, ihre Bastelarbeiten, meine eigenen Jugendfotos, das Teeservice meiner Uroma mütterlicherseits, die Karnevalskostüme aus dem Jahr, als wir als Bauernbrautpaar gingen … Wir haben alles verloren. Es ist kaum in Worte zu fassen, was das mit einem macht. All diese persönlichen Dinge, die man nie mehr in die Hand nehmen, nie mehr anschauen kann. Berührende Erinnerungen sind plötzlich nicht mehr greifbar. Meine ganze Welt ist auf einen Schlag verschwunden.
In den ersten Wochen lebte ich wie auf Autopilot. Ich bekam richtig Herzschmerzen, als wäre ich innerlich ein wenig gestorben. So ein dumpfes Gefühl im ganzen Körper. Wenn die Kinder weg waren, konnte ich nur weinen. René und ich, wir verarbeiten das Geschehene beide auf ganz eigene Art. Unsere Priorität liegt bei den Kindern. Ich bekam viel Unterstützung von meinen vier Schwestern und einigen guten Freundinnen. Die konnte ich immer anrufen, wenn ich traurig war.
Zuallererst möchte man ja wieder einen Ort haben, an dem man wohnen kann, vor allem für die Kinder. Neben der Firma von René und seinen Brüdern stand zum Glück noch das Haus meiner Schwiegermutter – leer, da sie im Jahr zuvor verstorben war. Ein schönes Objekt, keine Frage, aber nicht dasselbe wie unser Zuhause. In meinem alten Haus hatte ich ein großes Fenster, an dem ich oft stand und die Kinder beim Spielen draußen beobachtete. Oder die Rehe auf der Wiese. Diesen Verlust eines eigenen Ortes kann man nicht kompensieren.
Den Kindern merke ich wenig an; sie haben zum Glück keine Schlafprobleme. Es hilft, dass sie in der Schule und von ihren Freunden gut aufgefangen worden sind. Mein Jüngster hatte 158 Euro für einen iPod gespart. Den wollte er so gern haben. Das Geld war natürlich auch weg. Kinder aus seiner Klasse haben kurz nach dem Brand mit dem Verkauf von Zeichnungen Geld gesammelt. Sehr lieb.
Viele Leute aus dem Dorf haben uns Kleidung und andere Sachen gegeben, da wurde uns wirklich warm ums Herz. Anfangs konnte ich mir den Schutthaufen kaum anschauen. Bei den ersten Malen rutschte mir das Herz in die Hose. Jetzt gehe ich fast täglich hin. Wir haben dort in einem Zwinger noch zwei Hunde, die das Grundstück bewachen, das ist ein guter Grund. In der Scheune, die nicht abgebrannt ist, habe ich mir einen kleinen Hobbyraum eingerichtet.
„All die persönlichen Dinge, die ich nie mehr anfassen und anschauen kann“
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Ich habe wieder angefangen zu fotografieren, das lenkt mich ab. Der große Nussbaum steht glücklicherweise auch noch, unter ihm habe ich im Sommer gesessen und über die Weiden geschaut. Es ist noch immer der Ort, an dem ich mich am meisten zu Hause fühle.
Nach einer Weile begann ich wieder zu joggen, um meinen Kopf leer zu kriegen und den Tag zu strukturieren. Heute habe ich eine feste Runde von acht Kilometern quer durch den Wald. Nach ein paar Minuten spüre ich dann, wie mir ein wenig leichter wird. Manchmal gehe ich kurz am Grab meines Vaters vorbei – der starb, als ich elf war. Das gibt mir ein wenig Halt.
Weil es noch viele Monate dauern kann, bevor wir neu bauen, fühlt es sich für mich an, als würde mein Leben stillstehen. Mir fehlen die Dinge von früher, die wirklich nicht mehr beschaffbar sind. Seit dem Brand ist mir bewusst, dass das Leben, wie man es führt, einfach so vorbei sein kann. Ich schätze heute die kleinen Dinge viel mehr: mit den Kindern spielen, zusehen, wie meine mittlere Tochter tanzt – das gibt mir Energie. Letzten Endes steckt das Glück in einem selbst, nicht in einem Haus.
Oft werde ich noch nachts um halb vier wach – etwa die Uhrzeit, zu der ich den Brand bemerkte. Dann greife ich nach einem Halstuch mit etwas Parfüm darauf. Um daran zu riechen, das Gefühl zu haben, mich kurz verkriechen zu können. Das habe ich auch als Kind schon gemacht; auf seltsame Art tröstet mich das. Es ist ja im Prinzip ein großes Glück, dass wir unverletzt davongekommen sind. Daher habe ich eins sofort überprüft: ob die Feuermelder in unserem jetzigen Haus in Ordnung sind.
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Tonias Geschichte ist in Ausgabe 1/2017 von PSYCHOLOGIE bringt dich weiter erschienen. Das komplette Heft können Sie im Shop nachbestellen.