"Sie behauptete, ich hätte unsere Kinder missbraucht"
Vor fünf Jahren wurde Hans (53) zu Unrecht beschuldigt, seine Kinder sexuell missbraucht zu haben. Wie lebt man weiter, wenn nichts mehr ist, wie es mal war?
Es war zwar spät, als ich an dem Abend nach Hause kam, aber auch nicht so spät. Trotzdem lag unser Haus völlig dunkel da, nur das Licht draußen brannte. Ich dachte sofort an einen Überfall, damals hörte man ab und an so was. Vorsichtig schlich ich zur Haustür, die nicht abgeschlossen war, und die Treppe rauf. Unser Schlafzimmer: leer. Die Kinderzimmer: leer. Mein zweiter Gedanke war, dass vielleicht etwas passiert war und meine Frau die Kinder zur Notaufnahme gebracht hatte. Ich fuhr zum Krankenhaus, aber ihr Auto stand nicht da.
Erst als ich wieder zu Hause war, entdeckte ich den Zettel auf dem Küchentisch: "Wir sind weg, du weißt schon, wieso." Ich verstand überhaupt nichts mehr. Vielleicht waren sie bei einer Freundin? Wieder stieg ich ins Auto. Aber nach kaum hundert Metern hielt mich die Polizei an und nahm mich mit. Der Vorwurf: häusliche Gewalt. Am nächsten Tag durfte ich wieder gehen. Man sagte mir: "Ihre Frau bereitet eine Klage vor, und wenn sie dabei bleibt, brauchen Sie wirklich einen Anwalt."
Ein paar Tage später rief mich mein Bruder an. Mein Schwiegervater hatte ihm erzählt, etwas "wie in dieser Kita" sei bei uns passiert – ein Missbrauchsfall, der seinerzeit groß in den Medien war. Ich dachte, ich würde verrückt. Wie kam meine Frau auf so eine Idee? Was hatte sie erzählt? Aber sie ließ mich ratlos zurück, wochenlang. Manchmal lag ich weinend auf dem Fußboden und schrie: Komm nach Hause! Schließlich hatte ich mit einem Mal alles verloren. Anrufen, simsen, mailen ... Ich erreichte sie nicht, auch nicht, als ein Brief meines Anwalts an ihre Eltern gegangen war, bei denen sie sich aufhielt.
Erst nach einem halben Jahr sagte mir die Polizei, was genau los war. Meine Frau hatte mich wegen Missbrauchs unseres Sohnes und unserer Tochter angezeigt, die damals fünf und sechs Jahre alt waren. Ich soll mich jahrelang nachts an ihnen vergangen haben, während meine Frau nebenan schlief. Bei meiner Tochter sogar schon, als sie erst ein Jahr alt war ...
Ich war fassungslos. Zum Glück sagte man mir gleich, dass die Fachleute von der Sitte schnell gemerkt hätten, dass an diesem Vorwurf nichts dran war: Die Geschichten der Kinder waren unglaubwürdig und inkonsistent. Und da, wo sie sich deckten, stimmten sie so stark überein, dass sie wahrscheinlich instruiert worden waren. Bloß ließ sich nicht beweisen, dass meine Frau das getan hatte. Als ich später in der Akte zum Fall las, welch furchtbare Dinge ich getan haben sollte, wurde mir ganz schlecht. Wie konnte die Frau, die ich so geliebt hatte, solche Lügen über mich erzählen? Als ich die Gesprächsprotokolle durchging, wurde mir klar, dass auch meine Kinder durch all diese Geschichten sehr viel Schaden erlitten hatten.
"Der Verdacht gegen Sie hat sich nicht bestätigt", stand in dem gerichtlichen Schreiben, das ich gut ein Jahr später bekam. Diesen Brief habe ich lange Zeit immer bei mir getragen, um ihn vorzeigen zu können, wenn an meiner Version gezweifelt wurde. Aber meine Kinder hatte ich dennoch verloren, und ich vermisste sie. Da saß ich, allein in diesem großen, leeren Haus. Zusätzlich bitter ist, dass meine Eltern beide gestorben sind, ohne ihre Enkelkinder wiedergesehen zu haben.
Meine Frau und ich sind inzwischen geschieden. Ich habe noch immer die Sorgepflicht für meine Kinder, aber meine Ex-Frau versucht weiterhin vor Gericht zu erreichen, dass ich sie nicht sehen kann. Sie hat sie sogar gegen mich klagen lassen, um den Kontakt zu verhindern – da waren sie acht und neun Jahre alt! Meine Frau hört nicht auf, sie zu beschädigen, ohne dass sie einer daran hindert.
Klar ist es nicht die Aufgabe des Jugendamts oder so, die Wahrheit herauszufinden, aber manchmal sollte sie dennoch ans Licht gebracht werden. Statt an dem Gedanken festzuhalten: "Zu einem Streit gehören immer zwei." Ich habe seither drei andere Männer kennengelernt, die etwas Ähnliches erlebt haben, und ich verstehe nicht, dass man für die Kinder nicht schneller Hilfe organisiert. Die juristischen Mühlen mahlen viel zu langsam.
Als das alles anfing, waren wir vier wirklich eine glückliche Familie. Wir haben viele Ausflüge gemacht, in den Zoo, nach Disneyland... Bis zu dem Abend, an dem sie plötzlich weg waren, habe ich rein gar nichts Seltsames bemerkt, es war nie etwas Ähnliches vorgefallen. Auch für meine Freunde und Verwandten kam es völlig überraschend.
Ich kann mir nur vorstellen, dass meine Exfrau eine Variante des Münchhausen-Stellvertreter-Syndroms entwickelt hat, das sie dazu bringt, die Kinder ganz für sich haben zu wollen. Und um ihrer Umgebung zu zeigen, was für eine großartige Mutter sie ist. Ich bin nicht mehr wütend, sondern habe Mitleid mit ihr. Stell dir vor, du wärst so, denke ich dann.
Kein Rauch ohne Feuer, sehe ich die Leute sofort denken
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Ende letzten Jahres hat das Gericht verfügt, dass ich mit meinen Kindern skypen darf, das haben wir bisher dreimal gemacht. Beim ersten Mal habe ich nur gesagt: Ich habe euch geliebt, ich liebe euch, und ich werde euch immer lieben. Beim zweiten Mal erzählte ich von den Wunderlampen, die ich in Istanbul gekauft habe. Dass ich darüberstreiche und mir wünsche, dass wir uns schnell wiedersehen. Sie saßen da, mit Sonnenbrillen auf der Nase, und sagten nicht viel, aber die Frau vom Jugendamt meinte später, das Gespräch hätte großen Eindruck auf sie gemacht. Natürlich hoffe ich, meine Kinder in Zukunft treffen zu können, aber ich muss auch damit rechnen, dass das nicht passiert. Dazu müssen sie eigentlich erst einmal "deprogrammiert" werden. Es ist, als würde ich aus der Entfernung sehen, wie sie ertrinken; ich kann überhaupt nichts tun.
Ich jedenfalls bleibe für immer beschädigt zurück. Teile meines Lebens sind völlig zerstört. Meinen Beruf als Psychologe konnte ich lange nicht ausüben. Versuch mal, den Leuten zu erklären, warum du deine Kinder nicht siehst. "Kein Rauch ohne Feuer", sehe ich sie sofort denken. Zum Glück habe ich viele gute Freunde – und vor einem Jahr auch eine neue Liebe gefunden. Meine Freundin hilft mir, das alles zu ertragen. Ich weiß, die Verbitterung ist nicht weit, aber ich versuche, mich wieder auf die positiven Dinge zu konzentrieren. Das macht es leichter.
Zum Schutz der Beteiligten wurde einige Details in dieser Geschichte geändert.
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Hans' Geschichte ist in Ausgabe 5/2016 von PSYCHOLOGIE bringt dich weiter erschienen. Das komplette Heft können Sie im Shop nachbestellen.