Public Shaming: Wenn das Netz sich auf einen stürzt
Wer Opfer von Public Shaming wird, hat oft noch lange damit zu kämpfen
Das Beispiel schlechthin für Public Shaming ging um die Welt: Die bis dahin unbekannte amerikanische PR-Frau Justine Sacco stieg in ein Flugzeug und twitterte vor dem Start: „Going to Africa. Hope I don’t get AIDS. Just kidding. I’m white!“ Als sie landete, war #HasJustineLandedYet zum Trending Topic geworden. Und Justines Ruf so kaputt, wie er nur sein konnte. Wegen Morddrohungen musste sie sogar untertauchen.
Beim Public Shaming werden Menschen öffentlich unter Kritik begraben, oft aufgrund einer kontroversen Meinung oder Aktion. Beim Cyberbullying oder Online-Mobbing dagegen richten sich verletzende Äußerungen direkt gegen die entsprechende Person. Oft werden Opfer wegen eines minimalen Fehltritts oder einer aus dem Zusammenhang gerissenen Bemerkung abserviert. Grundsätzlich kann das jedem passieren. Handelt es sich um ein sexy Video oder Foto, gibt es allerdings einen Unterschied zwischen den Geschlechtern. "Männer werden dafür oft noch gerühmt, während Frauen mit Beleidigungen über ihr Äußeres oder widerwärtigen sexuellen Drohungen rechnen müssen", sagt Daniel Janssen, Dozent an der Universität Utrecht, der die Auswirkungen sozialer Medien erforscht. Wurden Menschen früher auf einem Dorfplatz an den Pranger gestellt, geschieht dies nun online. „Die Funktion davon ist natürlich, den anderen für ein Verhalten oder Aussagen zurechtzuweisen, die von unserer sozialen Norm abweichen. Aber wir haben auch ein Bedürfnis danach, Frustrationen zu äußern – und das lässt sich online ausgesprochen leicht bewerkstelligen", sagt Daniel Janssen. „Während wir offline weniger schnell reagieren, gehören Online-Demütigungen fast zum festen Repertoire."
Dabei spielt auch der Online Disinhibition Effect eine Rolle, sagt Janssen: "Weil wir keine direkten Signale über den Effekt unserer Worte empfangen, sind wir ungehemmter. In einem persönlichen Gespräch sieht man sein Gegenüber an und hört die Intonation. Dann versteht man schneller, ob eine schräge Bemerkung scherzhaft gemeint ist oder nicht. Und man nimmt Signale beim anderen wahr – die zum Beispiel genutzt werden können, um Äußerungen zu korrigieren, zu erläutern oder abzuschwächen.“ Online fehlen diese Informationen, und man überlegt sich nur selten, welche Folgen dieses Public Shaming für den anderen haben kann. Aus diversen Studien geht hervor, dass die psychologischen Effekte von Public Shaming denen einer Beleidigung mitten ins Gesicht entsprechen. So stellte sich an der tschechischen Masaryk-Universität heraus, dass es uns genauso verletzt und wir dieselben emotionalen Schäden davontragen können: weniger Selbstvertrauen, Einsamkeit, Misstrauen. "Die Tatsache, dass dies öffentlich geschieht, macht die Scham noch größer", sagt Janssen. "Außerdem hält der Effekt von Online Shaming an, weil man fortwährend mit Ereignissen aus der Vergangenheit konfrontiert werden kann. Digitale Spuren zu löschen ist schwierig." Mit dem sogenannten "Recht auf Vergessenwerden" wurde 2014 immerhin ein Schritt in die richtige Richtung getan. Wer sich darauf beruft, kann Informationen online entfernen lassen, ungeachtet des Inhalts, damit Google nicht für immer und ewig einen Namen mit dieser einen Bemerkung, dem Foto, der Meinung oder dem Scherz verbindet.
Der britische Journalist Jon Ronson beschreibt in seinem Buch So You’ve Been Publicly Shamed, wie verschieden Opfer reagieren. Wo die eine voll auf Angriff geht, entscheidet sich der andere für den Rückzug, und eine Dritte sucht vor allem soziale Unterstützung, beispielsweise indem sie einen Freund oder eine Freundin bittet, die Kommentare in den sozialen Medien zu lesen und nur die wichtigsten weiterzugeben.
Die Rechtsanwältin Sue Scheff hat viel Erfahrung mit Opfern von Public Shaming und schrieb aus diesem Anlass das Buch Shame Nation: The Global Epidemic of Online Hate. Sie rät: "Legen Sie eine Social-Media-Pause ein, wenn Sie es mit so etwas zu tun bekommen. Online-Kommentare lesen bringt nur Stress, und wenn Sie reagieren, kann es sein, dass Sie Öl ins Feuer gießen." Sollten Sie in Ihrer persönlichen Chronik Anfeindungen gegen jemand anderen entdecken, empfiehlt Sue Scheff, weiteren digitalen Angriffen entgegenzutreten, indem Sie den betreffenden Kommentar melden und nicht etwa darauf reagieren oder ihn retweeten.
Quellen: V. Šléglová, A. Cerna, Cyberbullying in adolescent victims: Perception and coping, Cyberpsychology, 2011 / J. Suler, The online disinhibition effect, Cyberpsychology & Behaviour, 2004
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