"Herr Doktor, ich möchte bitte ein schönes Zoom-Gesicht!“
Durch die vielen Videokonferenzen schauen wir unser eigenes Gesicht zurzeit viel häufiger an als früher. Führt das tatsächlich zu mehr Behandlungen mit Botox und Co.?
So ein Zoom-Gesicht scheint ganz schön unsicher zu machen; SchönheitschirurgInnen geben an, dass Botox- und Filler-Behandlungen in letzter Zeit zugenommen haben. Wir haben bei der emeritierten Professorin und Körperbild-Expertin Liesbeth Woertman nachgefragt, ob wir es hier mit einem neuen Trend zu tun haben – und ob Botox glücklich macht.
Stimmt es, dass die Kosmetikindustrie seit der Corona-Krise floriert?
Liesbeth Woertman: Obwohl manche SchönheitschirurgInnen eine Zunahme bei bestimmten Behandlungen sehen, bedeutet das noch längst nicht, dass wir es mit einem neuen Trend zu tun haben. Zuverlässige Zahlen fehlen bislang. Ich höre auch genau das Gegenteil: Viele Frauen färben ihre grauen Haare seit der Corona-Krise nicht mehr, schminken sich weniger und tragen bequeme Kleidung statt adretter Bürosachen. Es könnte aber auch stimmen. Durch die Videokonferenzen sind sich Leute ihres Aussehens bewusster geworden.
Aber wir schauen doch auch in den Spiegel?
In den Spiegel sieht man mit einem bestimmten Grund. Sie möchten Lippenstift auftragen, ihre Frisur kontrollieren, schauen, ob Sie ausgeschlafen aussehen. Mit diesem kontrollierenden Spiegelblick sind wir vertraut. Wie unser Gesicht jedoch in Aktion aussieht – wenn wir diskutieren, reden und lachen –, wissen wir eigentlich nicht so recht. Wir haben die seltsame Illusion, dass unser Aussehen eine Konstante ist, und darum erschrecken wir vor unserem Gesicht mit all seinen Falten und Unebenheiten, wenn es in einem anderen, „lebendigeren“ Kontext auftaucht als vor dem Spiegel. Statt neugierig zu sein (Ach, sehe ich so aus?), beurteilen wir uns negativ.
Warum dieses negative Urteil?
Viele Frauen betrachten sich selbst mit einem objektivierenden Blick: Habe ich nicht zu viele Falten? Bin ich eigentlich attraktiv? Sie vergleichen sich mit dem faltenfreien Idealbild in ihrem Kopf. Eine tiefe Runzel passt nicht dazu. Das kann Frauen unsicher machen: Sie bekommen das Gefühl, nicht zu genügen. Und dafür gibt es eine Lösung: Botox.
Macht Botox denn selbstsicherer?
Studien zeigen, dass Frauen, die stark unter einem bestimmten äußerlichen Merkmal leiden, wie etwa einer großen Nase, zufriedener und selbstsicherer werden, wenn sie etwas daran ändern lassen. Das Problem mit Botox ist jedoch, dass Falten nach sechs Monaten wiederkehren. Das verstärkt den objektivierenden Blick. Sie fahnden dann unablässig nach Schwachstellen: Sollte ich wieder einen Termin machen? Das nährt die Unsicherheit.Auch das "Falschspiel" kann Frauen verunsichern. Wenn Sie Ihr Gesicht für Tausende Euro haben aufmöbeln lassen und jemand sagt, Sie sähen großartig aus, kommt so ein Kompliment dann wirklich an?
Woertman promovierte 1994 über das Thema Körperbilder. Vor Kurzem veröffentlichte sie ein Buch zur Psychologie des Aussehens.