Digital Detox: Teenager ohne Smartphone
Sie sind in der absoluten Minderheit, dennoch gibt es Jugendliche, die sich bewusst gegen ein Smartphone entscheiden. Starke Sache, oder?
Gut 95 Prozent der Jugendlichen ab zwölf Jahren besitzen ein Smartphone. Die Entscheidung, keins zu haben oder sich davon zu verabschieden, ist also wirklich eine große Ausnahme. "Bewundernswert", findet es Patti Valkenburg, Professorin für Jugend, Medien und Gesellschaft, dass manche Jugendliche sich doch bewusst dafür entscheiden. "Sie sagen: Für mich hat es mehr Nachteile als Vorteile, also mache ich das nicht. Das zeugt von Selbsteinsicht."
UMSTRITTENE WIRKUNGEN
Ihre Entscheidung beruht auf der persönlichen Erfahrung, dass sie sich ohne Handy besser fühlen. Wissenschaftliche Studien haben die oft genannten möglichen Nachteile von Smartphones – Schlaflosigkeit, Konzentrationsverlust – noch nicht eindeutig nachgewiesen, sagt Sabine Peters. Als Dozentin Educational Neuroscience an der Universität Leiden erforscht sie unter anderem die Smartphone-Nutzung bei Jugendlichen.
Laut Studien der Universität von Amsterdam checkt an Werktagen nicht weniger als die Hälfte der 14- und 15-Jährigen ihr Telefon noch nach zehn Uhr abends: "Womöglich beeinträchtigt es den Schlaf, wenn man sich vor dem Schlafengehen dem blauen Licht eines Bildschirms aussetzt, aber die entsprechenden Studien sind noch um stritten." Außerdem gibt es Peters zu folge Studien, aus denen sich schlussfolgern lässt, dass Jugendliche, die sich viel mit ihrem Smartphone beschäftigen, depressiver sind. Das jedoch muss nicht zwangsläufig bedeuten, dass Handys sie depressiv machen: "Es kann durchaus so sein, dass sie viel zu oft zum Handy greifen, weil sie sich depressiv oder einsam fühlen."
Dass viele Forschungsergebnisse umstritten oder schwierig zu interpretieren sind, heißt nicht, dass für Jugendliche gar keine Nachteile mit dem Smartphone einhergehen. Zwar hat sich gezeigt, dass der Effekt von SmartphoneNutzung auf unser Konzentrationsvermögen statistisch gesehen nicht so groß ist. "Hieraus lässt sich aber nicht schlussfolgern, dass es nie so ist", sagt Professorin Valkenburg. "Manche Jugendliche geben an, dass das Smartphone sie unruhig macht." Und durchschnittlich gesehen mag der Effekt auf das Konzentrationsvermögen vielleicht nicht so schlimm sein, sagt Peters, aber beim Lernen für eine Klassenarbeit bleibt ein Smartphone, das mit Pushnachrichten um Aufmerksamkeit heischt, ein Störfaktor. Darum scheint weniger Ablenkung, zum Beispiel beim Hausaufgabenmachen, eine positive Folge vom Leben ohne Smartphone zu sein. Außerdem erfordert der Umgang mit dem Smartphone, dass man ständig Entscheidungen treffen muss. Das wiederum führt dazu, dass das Gehirn schlechter zur Ruhe kommt. "Liest man im Bett zum Beispiel ein Buch, sogar vom Bild schirm, kann man sich oft besser entspannen, als wenn man ständig ent scheiden muss, worauf man klickt", sagt Sabine Peters.
IRGENDWO DAZUGEHÖREN
Wer meint, das Smartphone würde sich negativ auswirken, braucht es nicht gleich abzuschaffen, sagt Peters: "Wahrscheinlich hilft es schon eine Menge, die Nutzung einzuschränken." Momentan erforscht sie die Effekte einer solchen "Smartphone-Diät" bei Jugendlichen. Durch einfache Anpassungen in den Einstellungen (Push nachrichten ausschalten, Bildschirm zeitBegrenzer einschalten) erwartet sie, dass ihre Versuchspersonen, 150 Studierende, auf Dauer weniger mögliche Nachteile erfahren.
Ein Smartphone zu nutzen hat auch viele Vorteile, betont Patti Valkenburg. So hilft es Jugendlichen, ihre Identität zu entwickeln. Die sozialen Medien bieten ihnen viele neue Möglichkeiten, sich mit anderen zu vergleichen; ein wichtiger Weg zu lernen, wer sie selbst sind. Etwa 40 Prozent der Jugendlichen nutzen SocialMedia Plattformen wie Instagram und Tik Tok dafür, und zwar vor allem mit dem Smartphone. "Ferner bietet ein Smartphone auch viele Möglichkeiten zur Kommunikation und sozialen Unterstützung", sagt Valkenburg. "Fast alle Jugendlichen verwenden für ihre Kommunikation Whatsapp." Wird das Smartphone ganz abgeschafft, ist das Risiko laut Peters höher, aus der Gruppe heraus zufallen – und Studien belegen, dass das Gefühl, irgendwo dazuzugehören, für Jugendliche sehr wichtig ist.
WEGLEGEN LERNEN
Wenn Jugendliche selbst kein Smartphone möchten, ist das natürlich prima. Jugendlichen jedoch, die eins möchten, sollte man diesen Wunsch besser nicht verwehren, sagen Expertinnen und Experten. Bringen Sie Ihren Kindern vor allem bei, das Smartphone regelmäßig wegzulegen. Viele Jugendliche wünschen sich sogar, dass ihre Eltern ihnen mehr Grenzen setzen, wie eine niederländische Studie gezeigt hat. Denken Sie also daran, klare Vereinbarungen über die erlaub te Bildschirmzeit zu treffen, am liebsten bereits, bevor das Smartphone angeschafft wird.
Quellen u.a.: L. Hale u.a., Media use and sleep in teenagers: What do we know? Current Sleep Medicine Reports, 2019
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