"Das Stottern hat aus mir den Menschen gemacht, der ich bin"
Als Birgit Gohlke den Film "The King's Speech" sieht, erkennt sie, dass sie mit ihrem Stottern endlich Frieden schließen muss – und dreht den Dokumentarfilm "Mein Stottern". Ein Gespräch über ihr eigenes Stottern, Ursachen und Vorurteile
Sie haben einen Film über das Stottern gedreht, sind selbst betroffen. Sind Sie immer so offensiv mit dem Thema umgegangen?
Dass man die Dinge anpackt, ist nicht etwas, womit man auf die Welt kommt. Ich habe mir diese sehr offensive Art im Laufe der Zeit angeeignet. Meine Entwicklung ist auch der rote Faden des Films. Natürlich liegt es auch ein bisschen in meinem Charakter, dass ich Dinge ausspreche, dass ich sage, was ich denke. Früher war das aber anders. Wenn die Leute mich fragten, ob ich Schluckauf habe, oder mir gesagt haben, dass ich komisch spreche, bin ich weggegangen, ohne zu antworten. Ich habe mich dann irgendwann gefragt, ob ich weiter so defensiv reagieren will – oder offen sagen sollte, dass ich stottere. Und so die Sache selbst in die Hand nehme.
Hat der Film, in denen auch viele andere Stotterer zu Wort kommen, auch in Ihnen selbst noch etwas bewegt?
Der Film hat mir schon geholfen, über mein eigenes Leben mit dem Stottern zu reflektieren. Ich habe mir Fragen gestellt wie "Was hat das Stottern mit mir gemacht?", "Wie hat mich das Stottern auch weitergebracht?" und "War es wirklich so schlimm?". Es hat mich auch zum Nachdenken gebracht, wie Benedikt, den wir in unserem Film bis zum Studium begleitet haben, mit dem Stottern umgegangen ist. Als ich ihn kennengelernt habe, war er 15. Und schon damals ging er mit dem Stottern sehr viel lockerer um als ich, obwohl die Symptomatik bei ihm viel stärker war als bei mir.
Welche Vorurteile sind Ihnen und den anderen im Laufe Ihres Lebens begegnet?
Der Glaube ist schon noch verbreitet, dass stotternde Menschen möglicherweise nicht so intelligent sind. So ist beispielsweise die Rollenvergabe im „Tatort“ auch eher einseitig. Wenn jemand stottert, gehört der meist einer Randgruppe an. Er ist zum Beispiel ein Obdachloser oder der Spaßvogel, der ulkig ist und dann auch noch stottert. Oder auch gern der Täter - der hat ja im Film oft eh psychische Probleme. Es gibt auch das Vorurteil, dass die Eltern einen nicht aussprechen lassen und man deshalb mit dem Stottern angefangen hat. Oder, dass es ansteckend ist. Dass man es quasi von jemandem, der stottert, übernehmen kann. Das stimmt natürlich nicht.
Was führt denn dazu, dass man stottert?
Es gibt seit einiger Zeit die wissenschaftliche Erkenntnis, dass es im Gehirn von Stotternden im Vergleich zu dem von Nicht-Stotternden weniger Nervenfaserverbindungen gibt. Und zwar zwischen den beiden Hirnbereichen, die einerseits für die Formulierung und andererseits für die motorische Umsetzung beim Sprechvorgang zuständig sind. Die Ursache für Stottern ist also nicht primär psychischer, sondern physischer Natur.Bei der Mehrheit der Stotternden hat das ebenfalls eine genetische Komponente und kann somit vererbt werden. Bei mir in der Familie kam Stottern auch schon mal vor. Das Tückische am Stottern ist, dass man nicht weiß, wann es passiert. Ich habe aber keine Angst mehr vor dem Stottern. Dafür bin ich schon zu abgehärtet.
Wie haben Sie es geschafft, so gelassen damit umzugehen?
Stottern hat für mich viel mit Ohnmacht zu tun, weil man aus der Situation nicht herauskommt. Ich kann mittlerweile aber stottern, ohne mich dabei schlecht zu fühlen. Ich bin an schwierigen Situationen stark gewachsen und habe zum Teil auch die Konfrontation gesucht. Das Stottern hat mich in gewisser Weise zu dem Menschen gemacht, der ich bin. Ohne das Stottern wäre ich ja vielleicht gar nicht so sensibel, feinfühlig im Umgang mit anderen Menschen. Das war schon eine Erkenntnis, die mir in schwierigen Momenten sehr geholfen hat. Ich würde zum Beispiel nie andere auslachen, weil ich weiß, wie es sich anfühlt, ausgelacht zu werden.
Wenn wir so sprechen, merkt man von Ihrem Stottern auch nichts mehr. Wann haben Sie denn zum letzten Mal gestottert?
Als unser Film in Österreich anlief, war ich bei einem Radiosender und musste ein Interview geben. Da habe ich so gestottert, wie schon lang nicht mehr (lacht). Das hat mich total irritiert und die Radio-Moderatorin auch. Diese Art von Stottern ist bei mir aber eine ganz große Ausnahme. Selbst die Gespräche nach den Filmvorstellungen, wenn der Saal voll ist, sind kein Problem mehr.
Was würden Sie sich wünschen, das die Leute aus Ihrem Film mitnehmen?
Dass man darüber spricht. Ich finde, dass man darüber - wie über alles, was einen irritiert oder verunsichert - reden muss. Ein guter Weg ist auch, denjenigen, der stottert, zu fragen, wie man reagieren soll - je nach Situation, vorsichtig und respektvoll. Ob man zum Beispiel beim Wörter suchen helfen darf. Manchen hilft das. Bei mir sollte man das aber eher nicht machen, das setzt mich total unter Druck. Ich weiß ja genau, was ich sagen will. Nur dauert es manchmal eben ein bisschen. Und ich habe etwas zu sagen! (lacht)
Der Film "Mein Stottern" läuft ab 25. Oktober im Kino.