Ausmisten: Zuhause ist Weniger mehr
Ruhe, Übersichtlichkeit, Freiheit: Minimalisten zufolge bringt radikales Ausmisten jede Menge Lebensglück. Mit diesen Tipps befreien Sie Ihr Zuhause – und Ihren Kopf – von überflü̈ssigem Ballast
- ZÄHLEN SIE DAS UNZÄHLBARE
Wir wissen nicht genau, was wir alles besitzen, und haben trotzdem ständig das Gefühl, alles Mögliche zu brauchen. Etwa 10 000 Dinge stecken in jedem Haushalt, und da sind gesammelte Knöpfe oder alte Zeitschriften nicht mal eingerechnet. Regelmäßig gebrauchen tun wir aber nur etwa 500 – heißt also: Vom Rest könnte so einiges weg.
Nur was genau? Wer systematisch durch seine Habseligkeiten geht, sieht schnell, was er davon kaum anrührt – und wo er sich daher reduzieren kann. Wie der Amerikaner Dave Bruno, der seinen Besitz auf gerade mal 100 Dinge einstampfte. Viele folgten seinem Aufruf zur The 100 Thing Challenge. Doch Minimalistin Patty Golsteijn, die in den Niederlanden anderen professionell beim "Ausmisten" hilft, findet das übertrieben. "Das hat etwas Zwanghaftes, als wäre Minimalisieren ein Wettbewerb." Für sie geht es vor allem darum, sein Zuhause von "Nebengeräuschen" zu befreien. Denn zu viel Kram lenkt ab. "Er erinnert einen daran, was noch alles getan werden muss", sagt Golsteijn. "Das Aufräumen des Wohnbereichs macht den Kopf frei. In einem minimalistischen Haus warten nicht überall ,kleine Projekte‘ darauf, erledigt zu werden."
- LEGEN SIE MAL EINEN EINKAUFSSTOPP EIN
Viele Minimalisten kaufen eine Weile, zum Beispiel ein Jahr lang, nichts. Wie die Wienerin Nunu Kaller, die zwölf Monate lang keine Kleidung, Schuhe oder Accessoires shoppte – und laut eigener Aussage dadurch glücklich wurde. Denn so etwas wirkt wie ein kalter Entzug, und es hat den Effekt, dass man nach Ende dieser Phase bewusster einkauft.
Ist es Ihnen vielleicht doch noch zu drastisch, einen Monat, ein Jahr, ein Leben lang nichts Neues anzuschaffen? Dann halten Sie sich an die Eins- rein-zwei-raus-Regel: Jedes Mal, wenn Sie etwas Neues kaufen, entfernen Sie zwei Dinge aus Ihrer Wohnung.
- MACHEN SIE SICH KLAR: WEGGEBEN IST NICHT SCHLIMM
Ein verrä̈terischer Gedanke ist: „Das kann man bestimmt noch mal gebrauchen.“ Seien Sie ehrlich: Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass Sie den Zeitschriftenstapel noch einmal durchgehen? Außerdem können Sie die meisten Dinge im schlimmsten Fall neu kaufen. Viele Minimalisten geben ihre Bücher weg, mit dem Gedanken, dass sie sich problemlos noch mal ein Exemplar aus zweiter Hand anschaffen – oder downloaden – können. Haben Sie bei manchen Gegenständen starke Zweifel, legen Sie sie in eine Kiste und deponieren Sie diese an einer unauffälligen Stelle. Haben Sie die Sachen nach zwei Monaten noch nicht vermisst, kann die Kiste zu Oxfam, in den Gratis-Shop oder auf den Flohmarkt.
- GEHEN SIE SCHRITT FÜR SCHRITT VOR
Der hartgesottene Minimalist steckt ohne mit der Wimper zu zucken Fotoalben, Geburtsanzeigen und Kinderzeichnungen in den Reißwolf. Erinnerungen befinden sich schließlich in unserem Kopf, nicht in einem Objekt. Das geht Golsteijn etwas zu weit. "Gehen Sie Schritt für Schritt vor, sonst tut es Ihnen irgendwann leid. Minimalisieren ist ein jahrelanger Prozess. Gönnen Sie sich die Zeit, Ihr Wohnumfeld und Ihr Leben übersichtlicher zu gestalten. Fangen Sie zum Beispiel mit dem Kleiderschrank an. Daraus kann meist vieles weg, das emotional eh nicht so belastet ist."
- HEBEN SIE BESONDERES AUF
Irgendwann aber werden Sie auf dem Dachboden zwischen den Kisten mit Ihren alten Briefen, Tagebüchern und Poesiealben sitzen. Golsteijn: „"Treffen Sie eine Auswahl. Legen Sie Gegenstände mit großer emotionaler Bedeutung – die ersten Schühchen, der von Oma gestrickte Pullover der erste Liebesbrief – in einen Karton." Heben Sie nicht alle Bastelarbeiten Ihrer Kinder auf, sondern nur die schönsten oder die ganz besonderen – oder machen Sie Fotos davon. Entsorgen Sie die große Kiste mit altem Spielzeug und behalten Sie nur das Lieblingskuscheltier. Wertvoller Besitz kann einen ehrenvollen Platz im Haus bekommen. Rahmen Sie eine Geburtsanzeige oder Kinderzeichnung ein und hängen Sie diese an die Wand. Steht Omas alte Vase eigentlich nur im Weg? Machen Sie ein Foto davon und heben Sie dieses auf. So können Sie die Vase beruhigt entsorgen.
- MISTEN SIE ÜBERFLÜSSIGES AUS
Wenn Gegenstände eine neue Bestimmung bekommen, fällt es leichter, sich von ihnen zu trennen. Außerdem wissen wir aus Studien, dass Geben glücklicher macht als Besitzen. Verschenken Sie Bücher, DVDs, CDs und Zeitschriften an Freunde. Nehmen Sie immer, wenn Sie sich verabreden, so ein unerwartetes Geschenk mit. Stellen Sie einen Tisch neben die Wohnungstür, auf dem Sie Dinge präsentieren, die Sie weggeben möchten. Wenn Ihr Besuch geht, darf er sich etwas davon mitnehmen. Spenden Sie Ihre Kleidung an Kleiderkammern vor Ort oder die Deutsche Kleiderstiftung, die bundesweit sogar den Versand übernimmt, oder geben Sie Ihren Klamotten über Kleiderkreisel ein neues Zuhause (Verschenken geht dort gratis). Verschaffen Sie Ihren Dingen über ein Sozialkaufhaus neue Besitzer – in Hamburg beispielsweise gibt es sogar eins für IT-Spenden, also Computer und PC-Zubehörteile, die für den Weiterverkauf aufgearbeitet werden. Weggeben kann man Sachen auch online, etwa bei Alles und umsonst oder mit dem Hinweis "Zu verschenken" auf Ebay-Kleinanzeigen oder Flohmarkt-Apps wie Stuffle oder Shpock. Auf Facebook gibt es auch lokale "Weggebeseiten", meist unter dem Titel "Free your stuff". Und Nützliches wie alte Brillen spendet man an Brillen Weltweit, die diese an Bedürftige weitergeben.
- DIGITALISIEREN SIE
Die meisten Minimalisten hängen an zwei Objekten ganz besonders: ihrem Smartphone und ihrem Laptop. "Dank Online-Arbeit können Sie quasi arbeiten und leben, wo Sie wollen", sagt Golsteijn. "Außerdem kann man damit sehr gut einiges aufbewahren. So kann man Fotos vor dem Entsorgen scannen und speichern." Das gilt natürlich auch für Briefe und andere Dokumente. Golsteijn: "Sehen Sie dann aber zu, dass Sie Ihren Computer regelmäßig aufräumen, sonst verschiebt sich das Chaos nur auf die Festplatte."
Weiterlesen: F. Jay, Less Is More. Von der Freude des Weglassens, Mosaik, 2016 / D. Bruno, The 100 Thing Challenge, HarperCollins, 2010 / P. Mester, Das lass ich los. Sich von innerem und äußerem Ballast befreien, Scorpio, 2016 / G. Romagnoli, Nur mit Handgepäck. Wie ich lernte, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren, Kösel, 2016 / M. Kondo, Magic Cleaning. Wie richtiges Aufräumen Ihr Leben verändert, Rowohlt, 2013 / J. Becker, The More of Less: Finding the Life You Want Under Everything You Own, WaterBrook, 2016 / N. Kaller, Ich kauf nix! Wie ich durch Shopping-Diät glücklich wurde, Kiepenheuer & Witsch, 2013 / H. Griffey, Endlich aufgeräumt. Richtig ausmisten, organisieren und Dinge regeln, Eden Books, 2016
Weblinks: mrminimalist.com / minimalistenfreun.de / malmini.de / becomingminimalist.com / theminimalists.com / bemorewithless.com / davidmichaelbruno.com / missminimalist.com
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