Ambivertiert: Zurückhaltend und ausgelassen
Nur wenige Menschen sind eindeutig introvertiert oder extrovertiert; die meisten befinden sich irgendwo dazwischen. Das gilt auch für Autorin Eva Schram, die überrascht war, wie viele Vorteile das bietet – denn die „ambivertierte“ Persönlichkeit vereint das Beste aus beiden Welten
Ambivertierte sind im Vorteil, denn sie sind besonders überzeugend
Man sollte meinen, Extrovertierte verfügten über das größte Verkaufstalent. Aber Adam Grant, US-Organisationspsychologe und Bestsellerautor, wies 2013 in einer Studie nach, dass Ambivertierte mehr davon besitzen. „Sie verfügen über ein natürliches, flexibles Muster aus Sprechen und Zuhören. Dadurch wirken sie selbstsicher und begeistert genug, um ein Geschäft einzutüten, sind zugleich aber auch in der Lage, Kundeninteressen entgegenzukommen. Außerdem haben sie weniger Angst, aufgeregt oder übermütig zu wirken.“
Sie sind flexibler
Da Ambivertierte die Eigenschaften beider Extreme besitzen, sind sie sehr anpassungsfähig. Sie können mit extrovertierten Personen umgehen, die alle Aufmerksamkeit für sich fordern, aber auch mit Introvertierten, die sich in der Gruppe selten zu Wort melden. Daniel Pink, Autor von Mehr Wert. Die Kunst, gefragt zu sein, vergleicht das mit Mehrsprachigkeit. In einem Interview mit The Wall Street Journal sagte er: „Ambivertierte können leichter mit vielen verschiedenen Menschen in Kontakt treten, ähnlich wie jemand, der sowohl Englisch als auch Spanisch beherrscht.“
Ihre hohe Anpassungsfähigkeit kann sich jedoch auch gegen Ambivertierte kehren. Wenn sie sich überall anders verhalten, riskieren sie, dass man sie für weniger authentisch hält. Überdies, warnt Grant, wüssten Ambivertierte mitunter nicht, wie sie sich denn nun verhalten sollen. Introvertierte und Extrovertierte verfügen in bestimmten Situationen über grob dieselben Reaktionsmuster; bei Ambivertierten liegen diese weniger fest.
Sie können positiv denken
Wie auch Extrovertierte verfügen Ambivertierte über einen Mechanismus, der Positive Mood Maintenance genannt wird: Sind sie gut drauf, neigen sie dazu, an dieser Stimmung festzuhalten, indem sie sich für positive Stimuli entscheiden. Der spanische Psychologie-Professor Gonzalo Hervás ließ Versuchspersonen neun Minuten fröhliche Musik hören – eine Jazzfassung von Bachs Brandenburgischen Konzerten – und bat sie anschließend, sich drei positive Situationen vorzustellen. Danach füllten sie einen Fragebogen über ihre Stimmung aus und durften sich einen von sechs Filmen aussuchen: drei waren positiv, drei neutral.
Ergebnis: Extrovertierte wie Ambivertierte entschieden sich öfter für einen positiven Film. Eins gibt Hervás jedoch zu bedenken: Dass Extrovertierte eine positive Lebenshaltung haben, steht fest; ihre Schwelle für gute Neuigkeiten ist niedriger – sie sind empfänglicher dafür – und die Schwelle für schlechte höher. Ob eine vergleichbare Positivität auch für Ambivertierte gilt, ist noch unklar.
Sie können sich gut konzentrieren
Genau wie Introvertierte können sich Ambivertierte besser konzentrieren als Extrovertierte. Das belegen verschiedene Studien, in denen die Gehirnwellen von Versuchspersonen, die gerade eine Aufgabe erfüllten, erfasst wurden: Ambivertierte und Introvertierte wandten sich dem Auftrag aufmerksamer zu.
Dieses Ergebnis dockt an die Vermutung an, die schon das Psychologenpaar Eysenck hatte: Der Neokortex der Ambivertierten und Introvertierten wird stärker stimuliert. Sie vermeiden Stimuli von außen, um auf das für sie optimale, niedrigere Niveau zu gelangen. Dadurch können sie sich besser auf eine Aufgabe konzentrieren.
Quellen u. a.: A. Grant, Rethinking the extraverted sales ideal: The ambivertiert advantage, Psychological Science, 2013 / S. Georgiev u. a., Ambiversion as independent personality characteristic, Activitas Nervosa Superior Rediviva, 2014 / G. Hervás, I. López-Gómez, The power of extraverts: Testing positive and negative mood regulation, Anales de Psicología, 2016
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