Wie viel Alkohol ist zu viel?
Diplompsychologin Maren Lammers über den Übergang vom harmlosen Alkoholgenuss zur Abhängigkeit - und die Psychologie des Alkohols.
Ein Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt, ein Sekt im Kollegenkreis bei der Weihnachtsfeier, ein Glas Rotwein zum Festtagsbraten - gerade im Dezember läppern sich die Anlässe für alkoholische Drinks. Doch ab wann ist die Grenze zum übermäßigen Konsum überschritten?
Rund 9,5 Millionen Menschen in Deutschland trinken zu viel Alkohol, geht aus dem Alkoholatlas 2017 des Deutschen Krebsforschungszentrums hervor. Wie erklären Sie sich diese hohe Zahl?
Wir leben in einer Trinkkultur, in der alkoholische Getränke fest dazu gehören. Alkohol unter dem Deckmantel der Normalität: Es wird als völlig normal erachtet, zu trinken - zur Entspannung, Belohnung oder aus Geselligkeit. Alkohol hat einen hohen Stellenwert in unserer Gesellschaft. Außerdem messen wir uns oft an anderen: Wenn unser Gegenüber genauso viel trinkt, stellen wir den eigenen Konsum selten infrage. Dazu wird das Alkoholtrinken als Privatsache angesehen. Es ist fast unhöflich, jemanden konkret darauf anzusprechen oder sogar zu kritisieren.
Kaum ein Anlass kommt ohne ihn aus. Warum ist Alkohol in unserer Gesellschaft so selbstverständlich?
Alkohol wird in unserer Gesellschaft sehr gepflegt. Das heißt, wir haben gelernt, gute Gefühle mit einem Drink zu unterstreichen. Wir stoßen etwa auf das abgeschlossene Studium, auf eine Beförderung oder die Taufe unserer Nichte an. Alkohol ist anfangs sehr positiv besetzt. Wir verbinden angenehme Situationen damit: etwa gute Laune. Manchmal wollen wir diese durch ein Glas Sekt auch einfach schnell erreichen. Es sind meist die guten Gründe, weshalb wir trinken.
Nicht nur bei jungen Erwachsenen, auch in höheren sozioökonomischen Schichten wird viel Alkohol getrunken. Was macht den Reiz dabei aus?
In manchen Schichten ist es besonders schick, ganz bestimmten Alkohol zu konsumieren. Es gibt Alkoholsorten, die eher teuer und vielleicht gerade "in" sind. Viele Menschen trinken demnach auch aus Image-Gründen. Zudem wird uns von außen immer wieder suggeriert, dass Alkohol gut tut, dass er Genuss bedeutet und üblich ist. Schnell wird unter den Tisch gekehrt, dass der Konsum immer eine Herausforderung für den Körper und die Psyche darstellt - also auch immer problematisch ist.
Inwiefern kann man von einer Art Psychologie des Alkohols sprechen?
Dahinter steckt ein erhofftes Gefühl, das scheinbar auf den Konsum folgt. Alkohol kann uns über Krisen wie Liebeskummer oder Trauer hinweghelfen. Depressionen oder Ängste sind zwar kurzzeitig alkohollöslich, aber nur für den Moment. Langfristiger wäre der Effekt, stattdessen mit einer guten Freundin zu sprechen oder etwa eine Runde joggen zu gehen. Durch unsere gesellschaftliche Prägung ist es aber legitim bei Kummer zu einem Glas Wein zu greifen. Daneben kann ein Drink gerade jungen Erwachsenen helfen, sich dem anderen Geschlecht ungezwungen zu nähern. In Zeiten von Tinder und Co. ist es nicht mehr selbstverständlich, nüchtern und am helllichten Tag auf einen anderen Menschen zuzugehen. Mit einem Drink in der Hand lässt sich dagegen leichter flirten - denn Alkohol enthemmt. Zuletzt gibt es die Idee, dass Alkohol beim Abschalten hilft. Am Abend trinken viele Berufstätige deshalb, um den Kopf frei zu kriegen. Das kann schnell zur Gewohnheit werden.
Woran erkennt man, ob man besser die Finger vom Alkohol lassen sollte?
Aufhorchen sollte man, wenn bereits Suchterkrankungen in der Familie aufgetreten sind. Allgemein gilt jedoch, immer achtsam gegenüber dem eigenen Konsum zu sein. Trinke ich aus Gewohnheit? Wofür brauche ich Alkohol? Welche Wirkung möchte ich damit erreichen? Strebe ich durch den Konsum meist einen konkreten Wunschzustand an, ich also öfter gegen meine schlechte Verfassung antrinke, sprechen Psychologen von einer Art Wirkungstrinken. Trifft das zu, ist eine Person deutlich stärker gefährdet abhängig zu werden. Allerdings kommt es nicht nur auf die Menge an: Es gibt eine "Low-Dosis-Abhängigkeit". Manche Leute kommen selbst von einer Mini-Flasche Prosecco am Tag nicht los. Insgesamt kann man sagen, wenn Jemand an höchstens zwei Tagen pro Woche etwas Alkohol trinkt, ist das noch in Ordnung.
"Sei kein Spielverderber, nur ein Drink! Oder bist du etwa schwanger?" Haben Sie konkrete Tipps, wie man dem Gruppendruck entkommt?
Interessant sind dabei folgende Zahlen: Bis zu 12 Prozent der Deutschen trinken gar keinen Alkohol. Über 50 Prozent trinken einmal die Woche. Und 25 Prozent konsumieren ihn täglich. Es ist also legitim, wenig oder auch mal keinen Alkohol zu trinken, anstatt ständig welchen zu sich zunehmen. Wir brauchen demnach keine Ausreden. Es reicht anzumerken, dass man schlicht keinen Appetit darauf hat. Und wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, haben wir auch nicht immer Lust auf das Bier am Feierabend. Die Nachfragen kommen aufgrund der schon erwähnten Trinkkultur, in der wir leben. Und Druck üben eigentlich immer diejenigen aus, die ständig im Konsumrausch sind - die müssten sich eigentlich mehr rechtfertigen als die Abstinenten.