Wie funktioniert Psychoanalyse?
Wer Psychoanalyse hört, denkt schnell an Freud, peinliches Schweigen und endloses Rumwühlen in der Kindheit. Wie läuft die Therapie wirklich ab und was bringt sie?
Mehrmals in der Woche für eine Stunde auf die Couch und dann reden und reden – und schweigen: Psychoanalyse fährt mit schwerem Geschütz auf. Therapeuten ermutigen, fragen immer weiter und stimulieren die Selbstreflexion bei ihren Klienten. "Erzählen Sie mehr", "Was haben Sie in diesem Moment erlebt?" und "Wie verhält sich das zu dem, was Sie zuvor erzählt haben?" So versuchen sie, Emotionen von Klienten auszuloten. Denn deren Angst, Wut, Scham oder Freude als Reaktion auf Ereignisse oder Gedanken sagt etwas darüber, wie sie sind.
"In einer Analyse behandelt man meist keine konkreten Beschwerden", sagt Professor und Psychoanalytiker Frans Schalkwijk, "sondern Menschen, die in irgendeiner Weise an ihrer Persönlichkeit leiden." Kognitive Therapie funktioniert anders. Dort geht es vor allem darum, zu erkennen, wie man das eigene Leiden durch negative Gedanken instand hält – und was man dagegen tun kann. Woher diese negativen Gedanken kommen, spielt eine weniger große Rolle.
Die Grundlage für die Psychoanalyse legte Sigmund Freud. Er behauptete, unser Motor seien unsere sexuellen und aggressiven Triebe. Heutzutage sehen viele Psychoanalytiker die tiefste Triebfeder des Menschen in seinem Bestreben, sein Grundbedürfnis nach Sicherheit in gegenseitigen Beziehungen zu befriedigen. Wie sehr diese Bedürfnisse in der frühen Kindheit erfüllt wurden, bestimmt den Blick, den man als Erwachsener auf Beziehungen hat. Das wiederum wirkt sich auf Entscheidungen und Verhalten aus. Wenn man sich als Kind zum Beispiel nicht gesehen fühlte, kann man die Überzeugung entwickeln, nichts wert zu sein. Als Erwachsener hat man sich Verhaltensweisen angeeignet, sogenannte Abwehrmechanismen, um diese Überzeugung zu vermeiden; zum Beispiel sich immer nützlich zu machen und für andere da zu sein, auch wenn das auf Kosten der eigenen Person geht.
Hat eine an Beschwerden orientierte Therapie wie die kognitive Verhaltenstherapie zum Ziel, den Gedanken "Ich bin nichts wert" zu erkennen und zu durchbrechen, schaut die Psychoanalyse auf die emotionalen Muster darunter, die diese destruktive Überzeugung weiterhin nähren. Die Therapieform der Psychoanalyse ist daher für Menschen bestimmt, die durch ihre unbeholfenen Abwehrmechanismen in verschiedenen Lebensbereichen festgefahren sind: in Freundschaften, im Job, in Liebesbeziehungen und wenn sie allein sind.
"Durch den Einblick in die Erfahrungen, die das Gefühl der Wertlosigkeit geformt haben, können Patienten ihre Abwehrmechanismen in den verschiedensten Situationen immer wieder hinterfragen, wodurch andere Entscheidungen möglich werden und sie sich freier fühlen können", sagt Schalkwijk. Wenn Patienten diese Reflexion selbstständig aufbringen und anwenden, ist die Therapie gelungen. Das kann mitunter allerdings fünf Jahre dauern.
Durch die Intensität der therapeutischen Sitzungen werden emotionale Überzeugungen sichtbar, die in Therapien mit einer niedrigeren Frequenz verborgen bleiben. Therapeut und Patient besprechen zum Beispiel, was der Patient über den Therapeuten fantasiert und was er von
ihm oder ihr hält. So erlangt der Patient Selbsteinsicht – die Dynamik des Sprechzimmers ist schließlich exemplarisch für das Verhalten des Patienten im Alltag.
Die hohe Frequenz der Psychoanalyse wirkt allerdings auch einschränkend. Nur wenige Menschen können es sich leisten, über Jahre hinweg fast täglich eine Stunde in Introspektion zu investieren. Deshalb bekommen häufig Therapien mit kurzer Dauer den Vorzug gegenüber der Analyse.
Deutschland ist eines der wenigen Länder, in denen Psychoanalyse als Regelleistung der Krankenkasse gilt – und das bereits seit 1967. Genau wie Verhaltenstherapie und die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie wird sie als "wissenschaftlich anerkannt" und "wirtschaftlich" eingestuft – eine Voraussetzung für die Kostenübernahme durch die Krankenkasse. Die übernimmt zunächst acht Probesitzungen. Bei einer langwierigen Therapie wie der Psychoanalyse können bis zu 300 Therapiestunden von der Krankenkasse übernommen werden. Begibt man sich über Jahre und in hoher Frequenz in Psychoanalyse, kommt man irgendwann allerdings nicht drum herum, selbst zu zahlen.
In den vergangenen Jahren haben verschiedene Studien gezeigt, wie nachhaltig Psychoanalyse wirkt. So wies Cord Benecke, Professor an der Universität Kassel, gemeinsam mit Kollegen 2014 in einer Studie nach: Je mehr eine Therapie bei Depressionen auf Elemente aus der Psychoanalyse setzt (wie etwa die Konzentration auf die Träume, Fantasien, sexuellen Erfahrungen oder Kindheitserinnerungen der Patienten), desto besser ging es den Betroffenen noch drei Jahre nach der Behandlung.
Auch gut 80 Jahre nach dem Tod von Sigmund Freud kann die Couch also immer noch ein guter Ort sein.
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