Welche Heilpflanzen helfen wirklich?
Viele schwören auf sie. Aber steigern Heilpflanzenprodukte und Nahrungsergänzungsmittel wirklich unser Wohlbefinden? Natürliche Anti-Stress-Mittel und Stimmungsheber – und was sie tatsächlich können
Jeder hat mal ein Stimmungstief oder schläft eine Weile schlecht - und viele möchten deswegen nicht gleich zum Hausarzt oder Psychologen rennen. Zumal es allerlei Kräuter und Nahrungsergänzungsmittel (NEM) gibt, die Abhilfe versprechen - ganz ohne Rezept. Jährlich werden etwa 1,3 Milliarden Euro in Deutschland damit umgesetzt. Aber helfen all diese "beruhigenden" und "stimmungsaufhellenden" Mittel tatsächlich?
Diese Frage ist berechtigt. Die Wirksamkeit der meisten in der Apotheke oder Drogerie erhältlichen Nahrungsergänzungs- und Naturheilmittel wurde nicht in klinischen Studien nachgewiesen. Das ist auch nicht notwendig, denn diese Produkte fallen größtenteils nicht unter das Arzneimittelgesetz, sondern das Lebensmittelrecht, für das weniger strenge Auflagen bei Zusammensetzung und Wirksamkeit gelten. Allerdings ist es laut Rechtsprechung verboten, NEM als Arzneimittel zu präsentieren oder mit Aussagen, die sich auf die Beseitigung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten beziehen, zu bewerben. Daher werden die Wirkungen der Produkte auf den Verpackungen stets vorsichtig formuliert.
Trotzdem haben viele Menschen das Gefühl, alternative Heilmittel würden ihnen helfen. Skeptiker schreiben dies dem Placeboeffekt zu. Denn wären diese Kräuter und NEM wirklich wirksam, wären sie dann nicht auf Grundlage wissenschaftlicher Nachweise als Arzneimittel registriert?
Zudem wird oft zu dieser Art Mittel gegriffen, wenn die Beschwerden ihren Höhepunkt erreicht haben. Und es ist nun einmal unbestritten, dass sie danach in der Regel von allein vorübergehen. Dennoch möchte der als kritisch bekannte Arzt Edzard Ernst, der die Wirksamkeit von Naturheilmitteln erforscht hat und heute vehement gegen Quacksalberei kämpft, nicht alle Kräuter und NEM als Placebos abtun.
"Es gibt Mittel gegen psychische Leiden, deren Effektivität nachgewiesen ist", sagt der gebürtige Deutsche und emeritierte Professor für Alternativmedizin an der University of Exeter. "Aber", fügte er hinzu, "ein natürliches Produkt ist nicht automatisch auch ein sicheres."
Welche Heilpflanzen und NEM wurden nachweislich als wirksam getestet? Und wie sicher sind sie? Ein Überblick über häufig auftretende psychische Beschwerden und die passenden Mittel, deren Wirksamkeit durch Studien belegt wurde.
DEPRESSION: JOHANNISKRAUT
Was ist es und was bewirkt es?
Johanniskraut (Hypericum perforatum) stammt ursprünglich aus Europa und enthält Hypericin und Hyperforin. Diese Stoffe wirken im Gehirn wie reguläre Antidepressiva: Sie hemmen die Wiederaufnahme von Serotonin, Noradrenalin und Dopamin. So bleiben diese Signalstoffe, die unsere Stimmung günstig beeinflussen, länger aktiv.
Welche Nachweise gibt es?
Mehrere randomisierte kontrollierte Studien belegen, dass Johanniskraut so gut gegen milde Depressionen hilft wie ein "normales" Antidepressivum und dabei weniger Nebenwirkungen hat. Daher hat es einen guten Ruf. So gut sogar, dass sich im Rahmen einer Placebo-kontrollierten Studie zeigte, dass Personen, die nur annahmen, Johanniskraut bekommen zu haben, sich besser erholten als Testpersonen, denen das Mittel tatsächlich verabreicht worden war.
Ist es sicher?
Johanniskraut hat an sich keine negativen Nebenwirkungen. Allerdings ist es für seine Interaktion mit anderen Mitteln berüchtigt. Es beeinträchtigt die Zuverlässigkeit der Antibabypille sowie die von Cholesterinsenkern und Chemotherapeutika. Außerdem ist es nicht empfehlenswert, Johanniskraut mit einem herkömmlichen Antidepressivum zu kombinieren, da das zu einer Überdosis Serotonin führen kann. Die wiederum kann Ruhelosigkeit, Ohnmachtsanfälle und im Extremfall sogar den Tod zur Folge haben. Personen mit bipolarer Störung kann Johanniskraut manisch machen.
Wem kann es nutzen?
Johanniskraut eignet sich vor allem bei milden Depressionen. Es wirkt erst nach einigen Wochen und ist daher nicht geeignet, dem Gemüt an trüben Tagen einen Spontan-Boost zu geben.
Worauf soll man beim Kauf achten?
Wählen Sie ein eingetragenes Arzneimittel. Bei anderen Präparaten schwanken die Reinheit des Produkts und die Menge der wirksamen Stoffe.
STRESS UND SCHLAFLOSIGKEIT: BALDRIAN
Was ist es und was bewirkt es?
Baldrian wächst in großen Teilen Europas und Asiens. Die Pflanze enthält Valerenal, Valeriansäure und Valerensäure – Stoffe, die in unserem Nervensystem die sogenannten GABA-A-Rezeptoren aktivieren. Diese dämpfen Signale im zentralen Nervensystem. Das gibt Baldrian eine beruhigende Wirkung.
Welche Nachweise gibt es?
Verschiedene Studien belegen, dass Baldrian tatsächlich beruhigt. Als Medikament gegen ernsthafte Schlafprobleme jedoch eignet es sich nicht sonderlich: Zwar wurde verschiedentlich nachgewiesen, dass es einen Effekt darauf hat, wie ausgeruht man sich fühlt, jedoch nicht auf die Schlafdauer selbst.
Ist es sicher?
Nebenwirkungen von Baldrian treten selten auf. Kombinieren Sie es nicht mit anderen Benzodiazepinen und auch nicht mit Alkohol, da Sie dann womöglich arg schläfrig werden. Passen Sie beim Autofahren auf, da Ihre Aufmerksamkeit beeinträchtigt sein kann. Baldrian führt nicht zur körperlichen Abhängigkeit, kann jedoch psychisch abhängig machen.
Wem kann es nutzen?
Personen, die sich tagsüber rastlos und nervös fühlen. Eventuell dauert es Wochen, bis sich die Wirksamkeit gut feststellen lässt. Somit hilft Baldrian nicht gegen akuten Stress.
Worauf soll man beim Kauf achten?
Entscheiden Sie sich für ein eingetragenes Arzneimittel. In der Drogerie erhältliche Präparate werden oft weniger streng auf Reinheit und Gehalt der wirksamen Stoffe kontrolliert.
ANGST: KAVA
Was ist es und was bewirkt es?
Der Kava-Wurzelstock wächst auf den Inseln im westlichen Pazifik, wie auf Vanuatu. Dort werden die Wurzeln zu Tee verarbeitet, der zeremoniell getrunken wird. Die Wirkung wird den sogenannten Kavalactonen zugeschrieben, die muskelentspannend, betäubend und angsthemmend sind. Höher dosiert sorgt Kava auch für euphorische Gefühle.
Welche Nachweise gibt es?
Verschiedene randomisierte Placebokontrollierte Studien belegen, dass Kava angsthemmend wirkt, ohne die Verkehrs- und Alltagssicherheit zu beeinträchtigen. Somit scheint das Mittel eine gute Alternative für Benzodiazepine zu sein. Allerdings ist der Effekt recht gering, eignet sich für die Behandlung schwerer und akuter Angstzustände scheinbar weniger.
Ist es sicher?
Anfang dieses Jahrhunderts gab es in Deutschland Meldungen von Leberschäden nach der Verwendung von Kava-Produkten. Daraufhin wurden sie in den meisten europäischen Ländern verboten. Folgeuntersuchungen ergaben jedoch, dass in den betreffenden Produkten wahrscheinlich nicht nur Kava-Wurzeln verarbeitet worden waren, sondern auch deren (giftige) Stängel. Zudem soll die Zubereitungsweise anders gewesen sein als traditionell üblich. Seit 2014 ist Kava unter strenger Kontrolle wieder zugelassen. Der American Botanical Council empfiehlt eine sparsame Verwendung und rät bei Leberproblemen, der Einnahme von Medikamenten, die die Leberfunktion beeinträchtigen, sowie bei regelmäßigem Alkoholkonsum davon ab.
Wem kann es nutzen?
Kava ist eine Option für Menschen, die sich ängstlich oder gehetzt fühlen. Man kann Kava-Tee auch als Alternative zum Alkohol trinken.
Worauf soll man beim Kauf achten?
Fertigpräparate sollten auf ihren Kavalactongehalt hin standardisiert sein; die empfohlene Tagesdosis ist 60 bis 120 mg Kavalactone (Kommission E) und sollte nicht länger als einen Monat eingenommen werden.
STIMMUNG UND ENERGIENIVEAU: MAGNESIUM
Was ist es und was bewirkt es?
Der Mineralstoff spielt bei vielen Gehirnprozessen eine wichtige Rolle. Er steckt in Nüssen, Bananen, Gemüse und Hülsenfrüchten. Bei chronischem Stress oder intensivem Sport verbraucht man mehr Magnesium, was zu einem Mangel führen, der wiederum Muskelkrämpfe, Reizbarkeit und Lustlosigkeit zur Folge haben kann.
Welche Nachweise gibt es?
Verschiedene Studien belegen, dass es sinnvoll ist, einen Magnesiummangel zu beheben. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat bestätigt, dass Magnesium dazu beiträgt, dass man weniger müde ist und das Konzentrationsvermögen steigt. Es ist außerdem gut fürs Nervensystem.
Ist es sicher?
Der Magnesiumgehalt vieler Präparate übersteigt die von der EFSA festgesetzte sichere Obergrenze von 250 mg pro Tag, und auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE) empfiehlt täglich maximal 300 (Frauen) oder 350 mg (Männer). Eine Überdosis kann Durchfall verursachen, eine lang anhaltende Überdosis Herzrhythmusstörungen. Magnesium kann die Aufnahme von Antibiotika beeinträchtigen.
Wem kann es nutzen?
Bei chronischem Stress, starker körperlicher Beanspruchung oder ungesunder Ernährungsweise kann ein Magnesiumpräparat sinnvoll sein. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation nimmt etwa jeder fünfte Erwachsene in Westeuropa nicht die empfohlene Menge Magnesium zu sich; laut aktuellem Ernährungsbericht der DGE ist ein Mangel in Deutschland aber selten. Wenn Sie mehrere Symptome haben, die auf Magnesiummangel hinweisen, kann der Hausarzt dies mithilfe eines Bluttests feststellen.
Worauf soll man beim Kauf achten?
Wählen Sie vorzugsweise Magnesiumzitrat und kein Magnesiumoxid, da Letzteres vom Körper viel schwieriger aufgenommen wird und schnell laxierend wirkt. Prüfen Sie auch, ob die Obergrenze von 250 mg pro Tag pro Pille oder Kapsel eingehalten wird.
ENERGIENIVEAU: VITAMIN D
Was ist es und was bewirkt es?
Vitamin D ist eine Gruppe von Prohormonen, deren wichtigste Ergocalciferol (D2) und Cholecalciferol (D3) sind. Sie bilden Bausteine für Hormone, die verschiedene Körper- und Gehirnprozesse steuern. Unsere Haut bildet selbst Vitamin D. Dazu braucht sie jedoch Sonnenlicht, das in unseren Breitengraden oft nur im späten Frühjahr und Sommer kräftig genug ist. Bei Senioren und dunkelhäutigen Menschen erfolgt die Herstellung von körpereigenem Vitamin D langsamer. Unsere Nahrung enthält wenig Vitamin D.
Welche Nachweise gibt es?
Verschiedene Studien stellten einen Zusammenhang zwischen einem niedrigen Vitamin-D-Spiegel und psychischen Beschwerden her, unter anderem Depressionen. Damit ist nicht nachgewiesen, dass eine Vitamin-D-Supplementierung gegen Depressionen hilft. Allerdings gibt es Hinweise darauf, dass die Ergänzung bei Vitamin-D-Mangel das Energieniveau heben kann.
Wem kann es nutzen?
Forscher haben festgestellt, dass niedrige Vitamin-D-Werte in Deutschland recht häufig vorkommen, insbesondere bei Senioren, Menschen, die eine dunkle Haut haben, und Menschen, die wenig draußen sind oder nur eingecremt mit hohem Lichtschutzfaktor in die Sonne gehen. Ergänzungsmittel können dann sinnvoll sein, obwohl es Hinweise darauf gibt, dass die Produktion von Vitamin D durch Sonnenlicht besser funktioniert. Der Vitamin-D-Spiegel lässt sich mit einem Bluttest bestimmen.
Ist es sicher?
Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung empfiehlt, eine Tagesdosis von 20 Mikrogramm Vitamin D nicht zu überschreiten. Eine lang anhaltende und höhere Dosis kann zu Schäden an Herz, Nieren und Blutgefäßen führen.
Worauf soll man beim Kauf achten?
Vitamin D3 (Cholecalciferol) kann der Körper am besten aufnehmen. Das enthalten aber fast alle üblichen Mittel.
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Der Artikel zum Thema Heilpflanzen ist in Ausgabe 4/2017 von PSYCHOLOGIE bringt dich weiter erschienen. Das komplette Heft können Sie im Shop nachbestellen.