Warum wir uns jünger fühlen, als wir sind
Auf dem Papier 40, vom Gefühl her höchstens 30: Woher kommt die Diskrepanz zwischen unserem wahren Alter und dem gefühlten?
Die Kluft zwischen dem wahren und dem gefühlten Alter wird mit den Jahren größer, zeigen Studien. Jugendliche fühlen sich meist älter und weiser, als sie sind, aber die meisten Erwachsenen fühlen sich jünger als ihr tatsächliches Alter. Der US-Professor David Rubin von der Duke University und seine dänische Kollegin Dorthe Berntsen entdeckten, dass dieses Gefühl etwa um das 25. Lebensjahr kippt. Sie befragten eine große Gruppe Dänen zwischen 20 und 97 Jahren zu ihrem Altersempfinden. Menschen unter 25 empfinden sich im Durchschnitt älter, als sie sind. Bei den Über-25-Jährigen fühlen sich viele jünger. Die Kluft zwischen unserem tatsächlichen und dem gefühlten Alter wird ab Mitte 20 immer größer. Um die 30 fühlen wir uns um etwa 12 Prozent jünger, als wir sind, mit 40 sogar um 20 Prozent jünger als auf dem Papier.
Danach ändert sich nicht mehr viel. Wer 30 ist, fühlt sich also, als wäre er 26, mit 40 erlebt er sich als 32-Jähriger, mit 50 fühlt man sich wie 40, und der 60-Jährige fühlt sich wie 48.
Wie kommt es, dass wir uns – kaum, dass wir ein Vierteljahrhundert erreicht haben – massenhaft jünger einschätzen, als Kerzen auf unserem Geburtstagskuchen brennen? Psychologin Ursina Teuscher von der Portland State University legte Hunderten Probanden ab 60 einen Fragebogen vor und kam auf zwei Erklärungen: Sich jünger zu wähnen, als man ist, kann ein Weg sein, sich selbst in einem positiven Licht zu präsentieren – in unserer Gesellschaft gilt ein junges Äußeres und ein "junges" Verhalten schließlich als erstrebenswert.
Und, so Teuscher, Ältere sehen heutzutage tatsächlich jünger aus als noch vor 20, 30 Jahren, da sie gesünder sind und mehr auf ihr Äußeres achten. Außerdem waren 60-Jährige früher in einer ganz anderen Lebensphase als ihre heutigen Altersgenossen. Vergleichen wir uns mit dem altmodischen Bild eines älteren Menschen in beigefarbener Windjacke und Stützstrümpfen, schätzen wir uns automatisch jünger ein.
Aber vielleicht ist das gefühlte Alter ja nicht nur ein Gefühl. Es kann auch das Ergebnis daraus sein, wie unser Gehirn konditioniert ist. Jeanyung Chey, Forscherin der kognitiven Neurowissenschaften, entdeckte kürzlich einen engen Zusammenhang zwischen gefühltem Alter und altersbedingten Veränderungen im Gehirn. Menschen über 60, die sich jünger fühlten, als sie tatsächlich waren, hatten im Durchschnitt mehr graue Substanz im Gehirn als Menschen derselben Altersgruppe, die sich älter fühlten. Bei jedem von uns schwindet mit den Jahren die graue Substanz, denn Nervenzellen sterben ab oder werden beschädigt. Wie schnell der Verfall abläuft, ist von Mensch zu Mensch verschieden. Fühlen Sie sich jünger, als Sie eigentlich sind, kann das daher bedeuten, dass Ihr Gehirn weniger schnell schwächelt und somit besser erhalten bleibt.
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