Warum Waldbaden uns so gut tut
Der Wald war schon immer da und tat uns schon immer gut. Momentan steht er als Kraftquelle aber besonders hoch im Kurs, der Trend dazu heißt Waldbaden. Was dahintersteckt, weiß der Psychologe und Waldtherapeut Martin Kiem.
Herr Kiem, Sie bieten Waldbaden an. Wie muss man sich das konkret vorstellen?
Das Waldbaden ist eine mehrstündige Führung, in der ich verschiedene Körper- und sinneszentrierte Übungen mache, um die Natur zu riechen, schmecken, hören, sehen und fühlen. Am Anfang gebe ich eine Einführung, um alle offenen Fragen zu klären, weil es sich störend auf die Übungen auswirkt, wenn man dann mit den Gedanken woanders ist. Ganz wichtig ist, dass man seine Aufmerksamkeit auf die Sinne richtet, damit man den Wald wahrnehmen und mit der Natur in Beziehung treten kann.
Muss ich beim Waldbaden wirklich einen Baum umarmen?
Wenn jemand das machen will, über den haptischen Sinn den Wald spüren möchte, dann kann derjenige sich gerne körperlich anlehnen. Muss man aber nicht machen. Eine tolle Übung ist es, barfuß zu gehen. Wenn man einen Moosabschnitt sieht, sich Schuhe und Socken auszuziehen und mit den Fußsohlen und Zehen das Moos zu spüren, also in direkten physischen Kontakt mit der Erdoberfläche zu treten.
Und was bringt mir das tatsächlich?
Die starke Entfremdung von Mensch und Natur hat natürlich Konsequenzen. Wenn man die Naturverbundenheit fördert, wirkt sich das aufs Wohlbefinden aus, beeinflusst aber auch unsere Gesundheit positiv, senkt etwa das Stresshormon Cortisol und den Blutdruck. Ich will dem Menschen nichts Neues beibringen, sondern helfen, zu einem Zustand zurückzukehren, der äußerst normal, natürlich und authentisch ist: eng mit der Natur zu leben.
Wieso ist das gerade jetzt ein Trend?
Waldbaden ist nur ein ganz kleiner Teil im Mosaik des Großen. Und das Große ist "nature connection" – Naturverbundenheit. Ich freue mich, weil ich weiß, dass es uns helfen kann - aber es hilft auch der Umwelt. Wenn der Mensch eine gefühlte Verbindung mit der Natur hat, dann spürt er auch Wertschätzung ihr gegenüber. Ich glaube, der Trend kann zu einer Win-Win-Situation für die Ökologie und uns Menschen werden.
Wie treten Sie denn am liebsten in Kontakt mit dem Wald?
Ich persönlich liebe meinen Sitzplatz ganz in der Nähe meines Zuhauses. Dort sitze ich alle zwei, drei Tage einfach in Stille und lasse die Atmosphäre des Waldes über alle Sinne auf mich wirken. Das Schöne an dieser Übung ist, dass nicht nur ich mich an den Sitzplatz gewöhne, sondern dass er sich auch an mich "gewöhnt". Das bedeutet, die Tiere stören sich nicht mehr durch meine Präsenz und rücken immer näher an mich heran. Die Natur rückt also näher an mich heran, es entsteht fast eine Beziehung. Ich kann diese Übung nur jedem empfehlen.
Martin Kiem ist gebürtiger Südtiroler, Arbeits- und Organisationspsychologe und hat in Australien mit einer Geschäftspartnerin das Coaching-Unternehmen Frontier Wellbeing gegründet. Dessen Europa-Zweig (https://www.frontierwellbeing.eu/) ist das einzige zertifizierte Mitglied der Association of Nature & Forest Therapy (http://www.natureandforesttherapy.org)/ im gesamten Alpenraum. Seit 2017 lebt Kiem wieder in seiner Heimat und bietet dort u.a. Natur- und Waldtherapie an.
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