"Unsere Entscheidungsfreiheit bringt auch Ängste mit sich"
Generation Aussichtslos? Alexander Spöri ist Abiturient und hat mit Freunden einen Dokumentarfilm über Depression bei Jugendlichen gedreht. "Grau ist keine Farbe" fragt nach den Ursachen für die Erkrankung und nach Lösungsansätzen.
Neben dem Abitur noch einen Film zu drehen, das klingt nach einer Menge Arbeit.
Auf jeden Fall. Man muss immer abwägen, wann mache ich was. Wir arbeiten seit 16 Monaten an dem Projekt. Die Vorarbeit war sehr intensiv.
Wie sahen die Vorbereitungen aus?
In den ersten Wochen hatten wir Redaktionstreffen. Wir haben gesellschaftliche, psychologische und empirische Informationen gesammelt und alles zusammengetragen. Wir haben online recherchiert und Vorgespräche mit Ärzten sowie Betroffenen geführt, auch um zu klären, wie die Dreharbeiten ablaufen. Das ist ja eine große Sache vor die Kamera zu treten und sich vor einem achtköpfigen Team zu öffnen.
Warum habt ihr euch für dieses Thema entschieden?
In den letzten zwei Jahren ist der Leistungsdruck bei uns an der Schule immer größer geworden, nicht nur für uns. Wir haben im Bekanntenkreis Leute, die teilweise gar nicht mehr zur Schule gegangen sind und über Wochen gefehlt haben. Manche haben sich in professionelle Behandlung begeben und sind sechs Wochen ganz aus dem Schulalltag verschwunden. Das hat uns beschäftigt. Zu Beginn des Projekts haben wir uns auch noch gefragt, ob die Betroffenen sich in die Depressionen reinsteigern, aber schnell gemerkt, dass das nicht der Fall ist. Wir lernen durch die Arbeit an dem Projekt sehr viel. Zum Beispiel, dass man darüber reden muss, aber dass es manchmal am besten hilft, einfach da zu sein. Das ist Wissen, das in der Schule nicht vermittelt wird.
Würdet ihr euch wünschen, dass in der Schule generell mehr über Psychologie gesprochen wird, zum Beispiel als eigenständiges Unterrichtsfach?
Als Unterrichtsfach geht es vielleicht schon zu weit, aber man könnte es in bestehende Fächer einbinden. Ganz wichtig finden wir Aufklärung. Zum Beispiel durch verpflichtende Kurse, die von professionellen Vertretern, also nicht nur Lehrern, durchgeführt werden.
Warum glaubt ihr, ist das Problem Depression größer geworden?
Man schaut mittlerweile mehr auf psychische Thematiken, zumindest außerhalb der Schule. Da wird auch ziemlich viel Aufklärung geleistet. Das Robert-Koch-Institut untersucht seit Längerem Depressionen im Kindes- und Jugendalter und spricht weiterhin von einer sehr hohen Betroffenenzahl. Das kann man mit mehr Stress, mehr Lernzeit und weniger Zeit für sich selbst begründen. Was wir als Hauptaspekt in unserem Film behandeln, ist aber, dass wir heutzutage viel mehr Entscheidungsmöglichkeiten haben. Diese Entscheidungsfreiheit bringt aber auch Risiken und Ängste mit sich, seien es Existenzängste oder täglicher Stress. Einerseits versucht man, das beste Abitur zu haben, aber weiß andererseits noch gar nicht, wo man eigentlich hinwill.
Laut der Deutschen Gesellschaft für Kinder und Jugend Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie steigen Depressionen bei Jugendlichen, weil sie weniger rausgehen und sich mehr mit digitalen Geräten befassen. Was sagst Du als Jugendlicher dazu?
Ich glaube, das ist zu pauschal. In unserem Film geht es auch um Digitalisierung und ich glaube schon, dass digitale Geräte eine Veranlagung zu Depressionen verstärken können, weil man im Internet und in sozialen Medien verstärkt nach Inhalten zum Thema Depression suchen kann. Früher kam man nicht so schnell an unkontrollierte Informationen.
Du meinst, dass man sich darin selber bestärken kann, weil man so leicht andere Menschen findet, die von ihren Depressionen und ihren suizidalen Gedanken sprechen?
Ja, das kann natürlich im Positiven als auch im Negativen gemeint sein. Wenn man auf den falschen Seiten landet, verstärkt das eventuell die eigene Depression. Aber natürlich kann man sich auch mehr mit anderen Depressiven vernetzen und fühlt sich nicht so allein.
Welche Aspekte werden besonders ignoriert, wenn es um Depressionen bei Jugendlichen geht?
In der Schule haben wir das Gefühl, dass das Thema an sich komplett totgeschwiegen wird. Früher hat man noch über Suizid gesprochen, im Religions- oder Ethikunterricht. Aber mittlerweile wurde das Thema komplett aus dem schulischen Kontext gestrichen, um den sogenannten "Werther-Effekt" zu vermeiden. Teilweise hat man Lehrer vor sich, die darüber nicht reden wollen, aber auch nicht darüber reden können. Scheinbar fehlt ihnen die richtige Ausbildung dafür. Aber wenn man solche Themen totschweigt, bringt das gar nichts.
Welche Verbesserungsvorschläge habt ihr?
Eine konkrete Forderung von uns ist, dass man mehr über Depressionen spricht. In der 9. Klasse, wenn der ganze Leistungsdruck beginnt, könnte man Informationsveranstaltungen während der Schulzeit anbieten – damit es nicht Schüler gibt, die in der 12. Klasse noch nie das Wort Depressionen gehört haben. Wir haben dazu auch eine Petition an den Bayrischen Landtag gestellt. Unser Anliegen ist, das Thema nicht nur filmisch aufzurollen, sondern uns aktiv einzubringen.
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