Spaziergehen macht glücklich
Wir sind die erste Generation, die mehr Fernsehflimmern als Tageslicht abbekommt. Zeit für ein Revival des Spaziergangs – denn der tut Körper und Seele gut
Egal ob Sommer oder Winter: Gehen Sie raus! Ein Rat, der anscheinend bitter nötig ist: So ergab 2016 eine Studie der DKV, dass 14 Prozent der Deutschen sich so gut wie gar nicht bewegen – weder im Job noch in der Freizeit oder auf dem Weg vom einen zum anderen. Und sieben von zehn Befragten gaben in einer niederländischen Studie an, sie blieben in den kalten Monaten regelmäßig einen ganzen Tag zu Hause. Darauf waren sie selbst übrigens nicht stolz – und das völlig zu Recht. Wir Menschen sind eben keine Tiefseebewohner und, selbst wenn es mitunter anders wirken mag, auch keine Nachttiere. Wollen wir uns wohlfühlen, brauchen wir Tageslicht, frische Luft und Bewegung.
Letztere muss gar nicht so intensiv sein. Eine Reihe aktueller Studien zeigt, dass einfaches Spazieren schon viel bringt. So belegt eine Studie unter Frauen, die 2001 an depressiven Symptomen litten, dass diejenigen, die danach regelmäßig Spaziergänge machten, 2015 gefühlt sozial besser aufgestellt waren und eine höhere Lebensqualität hatten als die weniger aktiven Frauen. Der Neuropsychologe Kirk Erickson stellte in verschiedenen Experimenten fest, dass Senioren, die wöchentlich mindestens 40 Minuten spazieren gingen, nicht nur ihre Kondition verbesserten, sondern auch ihr Gedächtnis und Gehirnvolumen. Der Grund liegt unter anderem darin, dass Bewegung den Körper stimuliert, das Wachstumsprotein BDNF (Brain-derived neurotrophic factor) herzustellen. Das schützt die bereits vorhandenen Nervenzellen im Gehirn und stimuliert das Wachstum neuer. Verschiedene Studien stellten in letzter Zeit einen Zusammenhang zwischen einem niedrigen BDNF-Spiegel und Depressionen her.
Dem täglichen Spaziergang gebührt somit ein Platz auf der Liste der gesunden Gewohnheiten wie Zähne putzen und Gemüse essen. Und gerade jetzt, wo die Tage noch angenehm sind, fällt es leicht, diese Gewohnheit zu pflegen. Gehen Sie zu Fuß zum Bahnhof, machen Sie in der Mittagspause einen kleinen Spaziergang, halten Sie eine Besprechung im Gehen ab, oder laufen Sie nach dem Abendessen noch einmal kurz um den Block. Bestimmt finden auch Sie eine Gelegenheit zum Spazierengehen, die in Ihr Leben passt.
NOCH NICHT ÜBERZEUGT? Hier noch mehr Wissenswertes über den Spaziergang:
Spazierengehen macht kreativer. Ob sie nun über den Campus gingen oder auf einem Laufband mit Blick auf eine Wand: Die Versuchspersonen in vier Experimenten der Stanford-Wissenschaftler Marily Oppezzo und Daniel Schwartz schnitten danach bei Kreativitätstests besser ab als Kollegen, die sitzen geblieben waren. Vor allem verbesserte sich deutlich ihre Fähigkeit, divergent zu denken, also neue Lösungen zu finden. Gehen Sie also unbedingt eine Runde um den Block, wenn Sie nicht weiterkommen.
Draußen ist man Tageslicht ausgesetzt. Und das fördert die Herstellung des Neurotransmitters Serotonin, der auch Glückshormon genannt wird. In unseren Breitengraden produziert die Haut zwischen April und Oktober unter Einfluss von Sonnenlicht Vitamin D (es sei denn, Sie gehen nur mit hohem Sonnenschutz vor die Tür). Besonders Kinder, aber auch Senioren leiden oft unter Vitamin-D-Mangel, was riskant ist, da dieses Vitamin nicht nur für starke Knochen und Muskeln sowie eine gute Widerstandskraft benötigt wird, sondern auch für ein gesundes Gehirn. So stellten Forscher einen Zusammenhang zwischen einem niedrigen Vitamin-D-Spiegel und Schlafstörungen, Depressionen, Autismus und Schizophrenie fest.
Gehen sorgt für gute Gespräche. Schon Freud wusste: Blickkontakt ist für ein Gespräch gar nicht so förderlich. Darum lagen seine Klienten von ihm abgewandt auf der Couch, oder er ging mit ihnen spazieren. Oftmals führte das zu einem viel offeneren Gedankenaustausch. Außerdem bietet Spazierengehen den großen Vorteil, dass es in Ordnung ist, auch mal eine Weile zu schweigen. Man konzentriert sich dann eben auf die Umgebung – und findet so oft von allein wieder ein Gesprächsthema. //
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Der Artikel zum Thema Spazierengehen ist in Ausgabe 5/2017 von PSYCHOLOGIE bringt dich weiter erschienen. Das komplette Heft können Sie im Shop nachbestellen.