Smartphone-Burn-out: Wie gefährdet sind Kinder?
Es piept, vibriert oder leuchtet - und schon haben wir wieder das Smartphone in der Hand. Besonders Social Media bescheren diese kleinen Überraschungsmomente, die so schnell zur Sucht werden können. Und Stress auslösen, der schon Kindern zu schaffen macht, warnt Diplom-Pädagogin Dr. Anabel Ternès
Smartphone und Sucht - diese Verbindung ist nicht weit hergeholt: Der kleine Aufwand, schnell zum Smartphone zu greifen, verspricht maximale Belohnung in Form dieser Überraschungsmomente, die den Körper Dopamin ausschütten lassen. Dieses Glückshormon treibt uns dazu, immer wieder unsere Tätigkeiten zu unterbrechen, immer wieder einer Belohnung nachzujagen. Im Extremfall droht ein Smartphone-Burn-out und damit ein Zustand, in dem wir unsere Produktivität verlieren, weil wir uns immer wieder unterbrechen lassen. Das Unglücklichsein ist nicht mehr weit, setzt erst einmal die geistige Erschöpfung ein, auf die regelrechte Entzugserscheinungen folgen: Gereiztheit, Traurigkeit oder Unruhe kommt auf, ist das Smartphone nicht in Reichweite. Noch stärker betroffen sind jedoch Heranwachsende.
Mittlerweile liegen einige Studien vor, die die Intensität der Handynutzung unter Jugendlichen zum Gegenstand haben. Die DAK ermittelte demnach, dass 85 Prozent der Kinder und Jugendlichen täglich rund drei Stunden am Handy aktiv sind: Mädchen 182 Minuten, Jungen 151 Minuten. Weitere Erhebungen ergaben, dass 64 Prozent der 8- bis 14-Jährigen mit ihrem Handy online gehen können, der Anteil steigt insbesondere bei 13- und 14-Jährigen schon rasant an, dann sind es nämlich bereits 86 Prozent. Und das nicht ohne Grund: Sind Jugendliche nicht im Internet aktiv, werden sie aus der Kommunikation mit Gleichaltrigen ausgeschlossen, sie erleben in ihrem Alltag Einschränkungen. Nicht zuletzt ist das Handy längst zum Unterhaltungsmedium und somit zum vielseitig eingesetzten Alltagsgegenstand geworden.
Dabei wird ganz offenbar von Elternseite unterschätzt, dass es sich beim Smartphone längst nicht mehr um ein simples Telefon oder einen Musik-Player, sondern um einen Computer handelt. Schon der Umgang mit Laptop und Co. wird von den Eltern kaum reguliert, wie eine vom Forsa-Institut durchgeführte Befragung von 1000 Müttern und Vätern ergab: Mehr als 70 Prozent geben nicht vor, wo ihre Kinder online gehen können; mehr als die Hälfte der Eltern begrenzen die Zeit nicht; mehr als 30 Prozent kümmern sich nicht um die frequentierten Inhalte. Die Kinder der Befragten begannen im Schnitt mit zwölf Jahren, eigenständig das Internet zu erkunden - rund zehn Prozent waren unter zehn Jahre alt. Die Folgen sind beunruhigend:
- Mehr als ein Fünftel der Kinder reagieren mit Ruhelosigkeit, Launenhaftigkeit und Gereiztheit, sollen sie ihre Zeit im Internet begrenzen.
- Zehn Prozent wollen online ihren Problemen entfliehen.
- Elf Prozent hatten bereits mehrfach erfolglos versucht, sich in Bezug auf das Internet zu regulieren.
- Für sieben Prozent stellt das Internet zwischenzeitlich eine Gefahr für wichtige Beziehungen oder Bildungschancen dar.
Doch die harmlos anmutenden Smartphones befinden sich heute zunehmend auch in den Händen kleinerer Kinder: Bereits 18 Prozent der Acht- und Neunjährigen hatten 2016 ein solches Gerät - im Jahr 2014 waren es noch zehn Prozent. Sogar vier Prozent der Sechs- und Siebenjährigen nutzen ganz selbstverständlich ein Smartphone, ohne das Potenzial des Kommunikationsmittels auch nur annähernd verstehen zu können. Sie eignen sich rasch die Handhabung an, Nachrichten werden ebenso im Handumdrehen verschickt wie geschossene Fotos oder Videos. Vor allem aber werden die Kinder mit Informationen und Reizen überflutet, bei denen sie weder Herkunft noch Relevanz überblicken können - von den Risiken versehentlich getätigter Einkäufe einmal ganz abgesehen.
Schon Erwachsene fühlen sich unter Druck gesetzt, müssen sie permanent erreichbar sein und auf Nachrichten reagieren. Umso schwerwiegender ist diese Reizüberflutung für Heranwachsende: Jedes vierte Kind empfindet Stress, wenn das Smartphone immer wieder eine neu eingegangene Nachricht meldet. Die Ablenkung führt nämlich dazu, dass weder die aktuelle Tätigkeit konzentriert ausgeführt werden, noch eine Entspannungsphase eintreten kann. Und die Frequenz der Störungen ist hoch: Erwachsene unterbrechen im Durchschnitt alle 18 Minuten ihre Tätigkeit, um das Smartphone zu konsultieren. Bei Heranwachsenden unter 18 Jahren sind die Abstände noch kürzer, sie lassen sich alle zehn Minuten ablenken - ein Viertel sogar alle sieben Minuten. Dabei ist sich fast die Hälfte der Befragten dieser Störung durchaus bewusst.
Und doch gilt es genau abzuwägen, welche Maßnahmen nun die geeigneten sein könnten: Ein striktes Smartphone-Verbot kann sich nämlich durchaus als destruktiv erweisen. Schon der Gedanke, keinen Online-Zugang zu haben, vermag bei vielen Handynutzern Ängste auszulösen - insbesondere bei jungen Menschen. Wichtiger ist es demnach, dass Eltern ihren Kindern vorleben, wie wichtig Achtsamkeit, Entschleunigung und bewusstes Leben sind, wie schön und befriedigend es sein kann, sich konzentriert mit etwas zu beschäftigen und dieses gut zu Ende zu bringen, wie erholsam digitale Pausen sind.
So lassen sich beispielsweise Offline-Tage oder feste Zeiten vereinbaren, in denen die ganze Familie auf die Internetnutzung verzichtet. Eine Hilfe kann auch sein, das Smartphone eben nicht als Ersatz für Uhr, Wecker oder Mediaplayer zu verwenden, sondern im Rucksack und damit schwerer erreichbar zu verpacken. Das Smartphone muss auch nicht bei jeder eingegangenen Nachricht ein Signal abgeben. So wird nicht immer wieder das Aufmerksamkeitssystem angeregt und zugleich das Ablenkungspotenzial des Smartphones eingedämmt. Einige Apps bieten einen guten Überblick, wie viel Zeit die Nutzer tatsächlich mit dem Smartphone verbringen - oft genug ist die erste Analyse erschreckend.
Dabei sollten Eltern zunächst sich selbst kritisch beobachten, denn Kinder imitieren das, was sie jeden Tag vorgelebt bekommen. Gemeinsame Mahlzeiten handyfrei zu gestalten, darf ebenso zur Selbstverständlichkeit werden wie das Gespräch über die Erlebnisse des Tages. Natürlich vermittelt das Smartphone ein gewisses Maß an Sicherheit, allerdings will der Umgang gelernt und geregelt sein: Nicht alle Funktionen müssen freigeschaltet, vor allem nicht alle Internetseiten zugänglich sein - das reale Leben hält gerade für Heranwachsende schon genug an Aufregendem, Spannendem und Wichtigem bereit.
Dr. Anabel Ternès ist Diplom-Pädagogin mit Schwerpunkt Medienpädagogik und Psychologie und hat GetYourWings gegründet, eine gemeinnützige Organisation aus Berlin, die Digitale Kompetenz fördert. Dort zeigt man jungen Menschen in Workshops das Programmieren, klärt über einen verantwortungsvollen Umgang mit Digitalisierung auf und fördert die Entwicklung und Stärkung persönlicher Kompetenzen.
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