"Meditation aktiviert unser Gehirn"
Meditation als ein Instrument zur Selbstoptimierung in Job und Alltag? Inwiefern die spirituelle Praxis therapeutisch wirkt, weiß Neurowissenschaftler Dr. Ulrich Ott
Was spirituelle Traditionen seit jeher wissen, ist heute auch in unserer westlichen Alltagswelt ein Versprechen. Damit sind die immensen Potenziale von Meditation in der Medizin, Psychologie und Therapie gemeint. Die Neurowissenschaft ist die treibende Kraft hinter einer neuen Entwicklung in der Forschung zum menschlichen Bewusstsein. Denn diese sieht Meditation - oder Achtsamkeit - auch als Instrument zur Selbstoptimierung in der Arbeits- und Alltagswelt. Wie die Wirkung der Meditation aus neurowissenschaftlicher Sicht zu beurteilen ist, erzählt uns Dr. Ulrich Ott, Neurowissenschaftler und Autor. Das Interview mit ihm ist in der Langversion zuerst im KolibriMAG erschienen.
Der Boom von Yoga und Meditation treibt allerlei Blüten. Warum interessieren sich immer mehr Menschen für diese jahrtausendealten spirituellen Techniken?
Dr. Ulrich Ott: Yoga und Meditation bieten eine Möglichkeit, sich aus der Hektik des Alltags zurückzuziehen und zur Ruhe zu kommen. In einer zunehmend beschleunigten Welt suchen die Menschen nach Oasen der Stille und Besinnung, um ihre innere Mitte zu finden. Allerdings gibt es auch neue Richtungen des Yoga, wo körperliche Leistungsfähigkeit und Attraktivität im Zentrum stehen, was in den traditionellen Übungswegen keine große Rolle spielte.
Was genau verändert Meditation in uns? Können wir neue Fähigkeiten durch sie erlernen?
Es sind keine völlig neue Fähigkeiten, die durch Meditation erlernt werden. Wir lernen, bereits vorhandene Fähigkeiten zu entwickeln, beispielsweise die Fokussierung unserer Aufmerksamkeit oder die bewusstere Wahrnehmung unseres Körpers, von Gefühlen und Gedanken. Es kann allerdings auch vorkommen, dass in tiefer Meditation Bewusstseinszustände erfahren werden, die sich deutlich vom Alltagsbewusstsein unterscheiden. Das sind dann wirklich neue Erfahrungen, zu denen wir durch Meditation einen Zugang erhalten. Veränderungen durch Meditation entstehen also zum einen durch Übung – durch ein Training psychischer Funktionen –, und zum anderen durch tiefgreifende Erfahrungen, durch die sich die Perspektive auf einen selbst und das Leben verändern kann.
Inwiefern kann man die Wirkung von Meditation eigentlich messen?
Ein Großteil der Forschung verwendet Fragebogen, um Effekte der Meditation auf die Persönlichkeit, das Wohlbefinden, Stress oder Krankheitssymptome zu untersuchen. Daneben wurden Meditierende in den letzten Jahren auch häufig mit bildgebenden Verfahren untersucht, vor allem mit Magnetresonanztomographie. Dabei zeigen sich charakteristische Muster einer Aktivierung des Gehirns, je nachdem, welche Technik der Meditation ausgeübt wird. Beim Vergleich der Hirnstruktur von Meditierenden mit gesunden Kontrollpersonen zeigen sich ebenfalls konsistente Unterschiede in mehreren Hirnregionen. Daneben gibt es noch zahlreiche andere Messmethoden, beispielsweise zum Herzkreislaufsystem, zu Markern des Immunsystems oder der Zellalterung.
Wie kann uns Meditation in Medizin, Psychologie oder Therapie helfen?
Für einige standardisierte Programme, wie beispielsweise „Stressbewältigung durch Achtsamkeit“ (MBSR, Mindfulness-based Stress Reduction), liegen inzwischen viele Studien vor, die eine gute Wirksamkeit bei einer ganzen Reihe von körperlichen und psychischen Erkrankungen belegen. Meditation wird dabei als ergänzendes Therapieverfahren genutzt, das auch auf eine große Akzeptanz von Seiten der Patienten stößt. Insbesondere bei Schmerzen, Angst und Depressionen ist die Befundlage eindeutig positiv. Darüber hinaus existieren Programme mit Anpassungen für spezifische Erkrankungen, wie beispielsweise Essstörungen, Alkoholabhängigkeit oder Borderline-Erkrankungen, in denen Meditation und Achtsamkeitsübungen eine zentrale Komponente sind.
Warum meditieren auch immer mehr Führungskräfte und hochrangige Entscheidungsträger?
Das sind Menschen, die unter ganz besonderem Zeit- und Leistungsdruck stehen. Ihnen fällt es daher häufig enorm schwer, einfach nur ruhig dazusitzen und nichts „Produktives“ zu tun. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass solche Auszeiten tatsächlich sehr positive Wirkungen entfalten können, denn sie dienen nicht nur der Gesundheit und Erholung, sondern eröffnen durch die Distanzierung und innere Klärung auch neue Perspektiven und Raum für kreative Lösungen von Problemen.
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