Immer öfter: Burn-out bei Kindern
Immer mehr Teenager geraten in eine Erschöpfungsdepression. Was die Ursachen sind – und wie man gegensteuern kann
Müde, oft traurig, sorgengeplagt – Gefühle, die man Kindern eher selten zuschreibt. Doch das Burn-out-Syndrom, die einstige Manager-Krankheit, macht auch vor dem Kinderzimmer nicht mehr Halt. So jung und schon so erschöpft vom Leben?
In Deutschland ist das längst traurige Realität: gestresste Kinder. „Schon in der 9. Klasse geben 30 Prozent an, dass sie unter starkem Druck stehen, in der Oberstufe steigt die Zahl weiter an“, sagt Dr. Michael Schulte-Markwort, Kinderpsychiater am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. „Etwa drei bis fünf Prozent von ihnen rutschen in eine Erschöpfungsdepression.“ Kopfweh, Bauchschmerzen und Appetitlosigkeit zählen zu den typischen Alarmsignalen eines Burn-out-Syndroms. Viele leiden unter Traurigkeit mit heftigen Weinkrämpfen, Wut und Panikattacken und werden von Versagensängsten geplagt, haben Schlaf- und Konzentrationsprobleme. Die Betroffenen ziehen sich immer mehr aus ihrem sozialen Umfeld zurück, da irgendwann alles zur Anstrengung wird.
„Burn-out-Kids“ nennt Schulte-Markwort Kinder und Jugendliche, die in der Stressfalle stecken. „Der Kalender von Schülern gleicht mit 50-Stunden-Wochen und mehr heute dem von Managern.“ Doch nicht die Schule allein erzeugt massiven Druck – selbst Hobbys arten in Stress aus, wenn es zu viele oder nicht die richtigen sind. Wenn auf das erste noch das zweite Instrument folgt, wenn es vom Fußballtraining direkt zur Nachhilfe geht, und das dreimal die Woche.
„Gerade perfektionistische, sozial sensible und kreative Kinder sind gefährdet“, sagt Professor Judith Sinzig, Chefärztin der Abteilung Kinder- und Jugendpsychiatrie an der LVR-Klinik in Bonn. Sie seien besonders anfällig für Druck und übertriebenen Ehrgeiz. Doch der Drang, immer noch mehr zu geben, ist ein gesellschaftliches Problem. „Wir leben in einer ökonomisierten Welt, die auf dem Prinzip Leistung aufgebaut ist. Diesen Wert haben wir über alles gestellt, sodass schon Kinder ihren Selbstwert daran messen. Nicht an ihrem Charakter, an ihrem So-Sein – und das ist gefährlich“, warnt Schulte-Markwort. „Schon in der Schule wird an einem optimalen Lebenslauf gebastelt. Ich höre von Schülern, dass ein 1,5-Abitur nicht mehr für eine gute Zukunft ausreicht.“
Erschöpft vom Leben scrollen sich die Jugendlichen dann in sozialen Medien durch fremde Erfolgsstorys, vergleichen sich permanent. Hinzu kommen die Erwartungen der Eltern. „Wir Erwachsenen müssen uns an die eigene Nase fassen“, sagt Schulte-Markwort. „Was für Werte vermitteln wir? Müssen wir die Messlatte immer höher hängen?“ Viele Eltern geben unbewusst den eigenen Druck weiter, beobachtet der Experte. „Auch ihnen fällt es schwer, sich den Ansprüchen einer globalisierten Welt zu entziehen.“
Was sollte man bei Verdacht auf Burn-out tun? „Wichtig ist, schon erste Anzeichen ernst zu nehmen“, betont Sinzig. Erste Anlaufstelle ist der Hausarzt, der psychologische Hilfe vermittelt, häufig reicht eine ambulante Therapie. „Neben fachtherapeutischen Methoden empfehlen wir einen Lerncoach, der das Kind dabei unterstützt, Lern- und Auszeiten gut zu verteilen und voneinander abzugrenzen.“ Es wird geschaut, welche Aktivitäten neben der Schule wirklich Spaß machen und welche vernunftgetrieben sind. „Was Kinder brauchen, sind selbstbestimmte Freiräume – und eine Balance zwischen Lernen und Lebensglück.“
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