"In der Manie hatte ich keine Impulskontrolle mehr"
Sebastian Schlösser (41), Schauspieldozent, Berufscoach für Frauen nach der Elternzeit und Autor von "Lieber Matz, dein Papa hat ’ne Meise" (Ullstein), über seine bipolare Störung.
Zum ersten Mal zeigte sich die bipolare Störung bei mir kurz vor dem Abitur, mit 19. Ich schlief kaum, sprühte meinen Golf bunt an, hatte keinen Bock mehr auf Schule, aber war voller Ideen, die sofort umgesetzt werden mussten – meine erste manische Phase. Das ging den ganzen Sommer so, was typisch für diese Krankheit ist. Zum Winterbeginn schwenkte es um in eine Depression, alles war mir gleichgültig, ich hatte null Selbstwertgefühl mehr. Obwohl ein guter Schüler, fühlte ich mich orientierungslos, wusste nicht, wo es im Leben hingehen sollte. Die Lehrer kannten mich so gar nicht und ließen mich in den Abiprüfungen zum Glück nicht durchfallen.
Damals wusste ich noch nicht, was mit mir los war, die Diagnose sollte ich erst mit 27 bekommen. Was die Störung ausgelöst hat? Keine Ahnung. Aber zwei nahe Verwandte hatten sie auch, daher vermute ich, dass es genetisch ist.
Nach der Zivildienstzeit, die ich rückblickend in einer anhaltenden Hypomanie erlebte, ging ich als Regieassistent ans Theater. Da man als freier Regisseur alles selbst macht, fiel die Erkrankung erst nicht auf – ich konnte mich quasi rund um die Uhr kreativ ausleben. Als ich 26 war, kam mein Sohn zur Welt. Erst klappte alles super, aber dann brachte ich ihn immer öfter in Gefahr, fuhr beispielsweise viel zu schnell Auto. In manischen Phasen hat man überhaupt keine Impulskontrolle mehr, muss teure Dinge kaufen, jedem Drang nachgehen, ist übererregt. Das möchte ich nie wieder erleben! Irgendwann eskalierte es, ich wurde immer unberechenbarer und musste das Theater verlassen. Auf sanften Druck von allen Seiten hin wies ich mich selbst in die Psychiatrie ein. Dort erfuhr ich, dass ich bipolar bin, und bekam Medikamente.
Das war der Wendepunkt! Ich hatte Glück, bis heute stehe ich mit dem Psychiater von damals in engem Kontakt, ich nehme Lithium und bin seit elf Jahren stabil. Wenn ich jetzt Anflüge der Erkrankung merke, tue ich mir etwas Gutes, mache Sport oder gehe im Wald spazieren. Und über den Winter kaufe ich für meine Frau und mich Theater- und Konzertkarten, um traurigen Phasen vorzubeugen.
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