Das macht die Pille mit Ihrer Psyche
Weniger Lust auf Sex, aber auch nicht so schnell vor dem Scheidungsrichter: Die Pille wirkt sich viel mehr auf unsere Emotionen und unser Verhalten aus, als lange Zeit angenommen wurde
Hormone bedienen Milliarden Schalter gleichzeitig in unserem Körper und bestimmen mit, ob wir uns gestresst oder entspannt fühlen, wie glücklich wir sind und wie viel Energie wir haben. Aber sie beeinflussen zum Beispiel auch, für wie attraktiv wir gehalten werden. Wenn Sie Hormone in Form einer Antibabypille zu sich nehmen – wie es in Deutschland etwa sieben Millionen Frauen im Alter zwischen 15 und 48 tun –, wirkt sich dies auf die Version von Ihnen selbst aus, die im Vordergrund steht.
Sarah Hill, Professorin für Evolutionspsychologie an der Texas Christian University, erforschte alle wissenschaftlichen Studien über die Pille und schrieb ein Buch darüber: Wie uns die Pille verändert. Darin nennt sie sieben wichtige Effekte, sowohl positive als auch negative.
1DIE LUST AUF SEX NIMMT AB
Fruchtbare Frauen, die die Pille nicht nehmen, werden durch ihre Hormone monatlich in Stimmung für Sex gebracht – ein vollkommen natürliches Aphrodisiakum. Das Geschlechtshormon Östrogen, das Hill zufolge auch als die flirtwillige Sexbombe unter den Frauenhormonen gilt, läuft rund um den Eisprung zur Höchstform auf. In dieser Zeit haben Frauen mehr Lust auf Sex und sind auch sexuell aktiver, geht aus Tagebuchstudien hervor. „Bei Frauen, die die Pille nehmen, bleibt der Östrogengehalt den ganzen Zyklus über relativ niedrig und stabil. Sie profitieren nicht von der natürlichen Zunahme der Libido, die auftritt, wenn der Körper ein Ei zur Befruchtung freigibt“, sagt Hill. Außerdem sinkt der Testosteronspiegel um etwa 60 Prozent, was manchen Experten und Expertinnen zufolge der Hauptverursacher des Libidoverlusts bei Frauen durch die Pille ist. Dass Frauen ohne Pille mehr Lust auf Sex haben, geht auch aus einer interessanten Studie der Emory University hervor. Frauen wurden Fotos von Paaren gezeigt, die verschiedene sexuelle Handlungen vollzogen. Dabei wurde gemessen, wohin ihr Blick ging. Was zeigte sich? Alle Frauen schauten zunächst auf die Genitalien. Allerdings verloren die Frauen, die die Pille nahmen, ihr Interesse schnell. Ihr Blick wanderte zu Aspekten, die überhaupt nichts mit Sex zu tun hatten: Kleidung, Gegenstände im Hintergrund („Ist das da eine viktorianische Chaiselongue, über die er sie legt? Die würde sich in meiner Wohnung auch gut machen“). Frauen, die die Pille nicht nahmen, schauten weiterhin gebannt auf die Genitalien.
2 DAS PRÄMENSTRUELLE SYNDROM (PMS) WIRD GELINDERT
Für Frauen mit Menstruationsbeschwerden kann die Pille ein wahrer Segen sein. Die nervigen Beschwerden – meist in der Woche vor der Menstruation, wenn das Hormon Progesteron seine Wirkung tut – können Frauen (und ihr Umfeld) todunglücklich machen. Sie fühlen sich unattraktiv, wütend, traurig, erschöpft und hungrig. „Obwohl es auch Frauen gibt, die mehr Beschwerden bekommen, zeigen viele Studien, dass die Pille die PMS-Symptome meist lindert“, sagt Hill. Hormonale Schwankungen werden geglättet – und damit auch die mentalen Höhen und Tiefen.
3 DER KREATIVITÄTSHÖHEPUNKT BEKOMMT EINEN DÄMPFER
Der Östrogenhöhepunkt, der von Zyklus-Tag 6 bis 14 stattfindet, bringt Frauen nicht nur in Stimmung für Sex, sondern ist auch der beste Moment zum Brainstormen, Schreiben und Malen. In dieser Phase sind Frauen kreativer, legen verschiedene Studien nahe. Bei einem Experiment der Psychologin Rosemarie Krug unterzogen sich Frauen, die die Pille nahmen, und Frauen, die das nicht taten, an verschiedenen Momenten im Monat Kreativitätstests. An den Tagen vor ihrem Eisprung, wenn der Östrogenspiegel am höchsten war, waren die Frauen ohne Pille am kreativsten. Frauen mit Pille profitierten nicht von einem Kreativitätshöhepunkt.
Die wissenschaftlichen Belege sind noch nicht überwältigend, aber es lohnt sich für Frauen, zu prüfen, wie sich das bei ihnen verhält. Hills Empfehlung: „Machen Sie sich einfach mal ein paar Monate lang Notizen. Manche Frauen fühlen sich während der Östrogendominierten Hälfte ihres Zyklus schön, energiegeladen und kreativ, andere sind in diesem Zeitraum eher zu sehr abgelenkt. Und wieder andere Frauen bemerken kaum einen Unterschied.“
Es ist noch unklar, warum Frauen so unterschiedlich auf Hormonschwankungen reagieren. Wahrscheinlich hat es mit der Menge der Hormone und den Hormonrezeptoren zu tun, die sie von ihrer Mutter geerbt haben.
4 EINDRÜCKE WERDEN WENIGER INTENSIV
Die Wahrnehmung ist bei Frauen in der fruchtbaren Phase geschärft. „Östrogen ist eine Art Dünger fürs Hirn“, sagt Hill. „Es sorgt dafür, dass die Gehirnzellen neue Verbindungen herstellen und sensibler auf Bilder, Gerüche und Geräusche in der Umgebung reagieren. Frauen, die die Pille schlucken und somit keinen zyklischen Östrogenpeak haben, nehmen das nicht wahr.“
Das bedeutet nicht, dass die Pille die Sinne von Frauen völlig abstumpfen lässt, aber sie nimmt ihnen ein wenig von ihrer Schärfe. Ohne Pille haben Frauen intensivere Erlebnisse. In ihrem Buch beschreibt Hill eine Studie, die zeigt, dass Frauen ohne Pille sensibler auf den Geruch von Moschus und Testosteron reagieren, während Frauen, die die Pille nehmen, diese Gerüche erst bemerken, wenn sie quasi mit der Nase drauf gestoßen werden. Auch gibt es Hinweise, dass Frauen um ihren Eisprung herum Musik mehr genießen. Allerdings steckt diese Studie noch in den Kinderschuhen.
5 IN KEINER ANDEREN PHASE SIND SIE SO ATTRAKTIV
Ein anderer Aspekt des Östrogenpeaks: Er macht attraktiv. Nicht nur geben sich Frauen in ihrer fruchtbaren Phase mehr Mühe mit ihrem Äußeren – sie schminken sich mehr und tragen reizvollere Kleidung –, Männer fühlen sich in dieser Zeit auch mehr zu ihnen hingezogen. Dieses Phänomen untersuchte der US-amerikanische Evolutionspsychologe Geoffrey Miller. Er wollte wissen, ob das Trinkgeld, das Tänzerinnen in einem Stripclub bekamen, mit ihrem Zyklus zusammenhing, und ob sich die Pille ebenfalls hierauf auswirkte. Die Tänzerinnen notierten zwei Monate lang die Höhe ihrer Trinkgelder sowie Anfang und Ende ihrer Menstruation. In dem Zeitraum um ihren Eisprung herum verdienten die Damen etwa 70 Dollar pro Stunde, während ihrer Menstruation waren es 35, und in den übrigen Zeiträumen 50 Dollar. Tänzerinnen, die die Pille nahmen, verdienten durchschnittlich lediglich etwa 37 Dollar pro Stunde.
Nach dieser Studie wurden Hill zufolge noch mehr Belege für die Hypothese gefunden, dass Männer Frauen in ihrer fruchtbaren Phase begehrlicher finden. So geht aus einer Studie hervor, dass Männer die Bewegungen, Gesichter und Stimmen von Frauen während der Östrogenspitze bedeutend attraktiver finden als die von Frauen in einer nicht fruchtbaren Phase. Vergleichbare Effekte lassen sich bezüglich ihres Körpergeruchs feststellen, sagt auch Sarah Hill. „Verschiedene Studien belegten (meist anhand von T-Shirts, aber auch von benutzten Slipeinlagen), dass Männer die natürlichen Körpergerüche von Frauen in ihrer fruchtbaren Phase begehrenswerter und angenehmer finden.“ Kurz gesagt: Etwa in der Mitte des Zyklus bekommen Frauen (die keine Pille nehmen) einen verführerischen Boost, der sie attraktiver aussehen, klingen und riechen lässt.
6 DAS STRESSSYSTEM REAGIERT ANDERS
Wer die Pille nicht schluckt, hat eine normale Stressreaktion. Bei akutem Stress (wichtiger Abgabetermin, gefährliche Verkehrssituation) werden Adrenalin und Cortisol produziert. Das Adrenalin verursacht einen höheren Herzschlag und ein gehetztes Gefühl; das Cortisol sorgt dafür, dass man aus dem stressvollen Ereignis etwas für später lernt. Bei Frauen, die die Pille nehmen, wird zwar Adrenalin als Reaktion produziert, die Cortisol-Reaktion jedoch funktioniert nicht gut. „Manchmal haben Frauen, die die Pille nehmen, überhaupt keine Cortisol-Reaktion bei Stress, und manchmal fällt der Cortisol-Spiegel sogar ab, was jeglicher Logik entbehrt. Auch nach dem Sport ist die Cortisol-Reaktion bei Frauen mit Pille viel niedriger als bei natürlich menstruierenden Frauen“, sagt Hill.
Die heruntergefahrene Cortisol-Reaktion ähnelt ihr zufolge verdächtig der Reaktion von Menschen mit chronischem Stress. „Bei Menschen, die langfristig unter hohem Druck stehen, schaltet der Körper die Stressreaktion auf Dauer aus, weil er in einem chronischen Zustand der Angespanntheit nicht funktionieren kann. Die Folge: Auch in Situationen, in denen es durchaus nötig wäre, wird kein Cortisol mehr produziert.“
Wie sich das auswirkt, ist noch nicht klar, so Hill. Es gibt jedoch zarte Hinweise darauf, dass es Einfluss auf das Lernvermögen von Frauen hat, die die Pille nehmen. In einer Studie hörten sich Frauen, die die Pille nahmen, und Frauen, die das nicht taten, eine emotionale Geschichte und eine langweilige an. Gleich im Anschluss wurde die Hälfte der Frauen jeder Gruppe mit einer stressreichen Aufgabe konfrontiert, nach der ihr Cortisol-Spiegel gemessen wurde. Eine Woche später konnten sich die natürlich menstruierenden Frauen noch gut an die Details der emotionalen Geschichte erinnern. Das galt jedoch nicht für die Frauen, die die Pille nahmen. Obwohl sich diese Frauen die Geschichte ebenso aufmerksam angehört hatten und sich nach der anstrengenden Aufgabe (durch das Adrenalin) ebenso gestresst fühlten, nahm ihr Gehirn die Details der emotionalen Geschichte weniger gut auf. Frauen ohne Pille produzieren Cortisol, wenn sie den Stress spüren, wodurch Informationen besser hängen bleiben. Ob das Einfluss auf das Alltagsleben von Frauen hat, die die Pille nehmen, ist eine Frage, die die Wissenschaft noch nicht beantwortet hat.
7 DAS SCHEIDUNGSRISIKO WIRD KLEINER
Bei der Suche nach dem idealen Liebespartner achten Frauen, die die Pille nehmen, auf andere Qualitäten als Frauen, die die Pille nicht nehmen. Ersteren sind Begehrlichkeit und Attraktivität nicht so wichtig, ihnen geht es mehr darum, dass ein Mann fürsorglich, väterlich und verantwortungsbewusst ist und genug verdient, um eine Familie unterhalten zu können. Diese Wunschliste hat möglicherweise zur Folge, dass Frauen, die die Pille nehmen, sich weniger schnell trennen. „Sogar wenn sie mit ihrem Sexleben nicht so zufrieden sind und ihren Partner nicht allzu attraktiv finden, zeigt sich, dass bei Frauen, die ihren Partner unter Einfluss der Pille wählten, die Wahrscheinlichkeit einer Scheidung geringer ist als bei Frauen, deren Partnerwahl erfolgte, als sie die Pille nicht nahmen“, sagt Hill. Bedingung ist allerdings, dass sie weiterhin mit der Pille verhüten. Andere Studien zeigten nämlich, dass sie ihren Partner möglicherweise weniger attraktiv finden, nachdem sie die Pille abgesetzt haben.
Natürlich menstruierende Frauen sind Hill zufolge wankelmütiger. „In der ersten Hälfte ihres Zyklus, und dann vor allem während ihrer fruchtbaren Phase, stehen sie eher auf große, symmetrisch gebaute Männer mit kräftiger Stimme, die ehrgeizig und mutig sind. In der zweiten Zyklushälfte jedoch, wenn das Progesteron das dominante Hormon ist, verschiebt sich ihre Vorliebe zu fürsorglichen Männern, die sich gern um die Kinder kümmern und den Frühstückstisch abräumen – der Typ Mann, den Frauen, die die Pille nehmen, sowieso oft bevorzugen. Dass sich Vorlieben so verschieben, ist Hill zufolge bei den Frauen am ausgeprägtesten, die die Pille nicht nehmen und eine feste Beziehung mit einem Partner vom Typ fürsorglicher Hausmann haben. Sie fühlen sich während ihrer fruchtbaren Periode zu anderen, männlicheren Männern hingezogen und weniger zu ihrem eigenen Partner. Aus einer vergleichbaren Studie geht hervor, dass gebundene Frauen mehr außereheliche Fantasien haben, wenn sie gerade sehr fruchtbar sind. Obwohl die meisten Frauen ihre Fantasie nicht in die Praxis umsetzen, kann dies eine Beziehung möglicherweise belasten, besonders, wenn es noch weitere Probleme gibt.
Quellen u. a.: S. Hill, Wie uns die Pille verändert, Heyne, 2020 / H. Rupp, K. Wallen, Sex differences in viewing sexual stimuli: An eye-tracking study in men and women, Hormones and Behavior, 2007 / G. Miller u. a., Ovulatory cycle effects on tip earnings by lap dancers: Economic evidence for human estrus? Evolution and Human Behavior, 2007
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Dieser Artikel ist in Ausgabe 3/21 von PSYCHOLOGIE bringt dich weiter erschienen. Die komplette Ausgabe können Sie im Shop bestellen.