Wie hilft man einem Kind mit Versagensangst?
Ihr Kind hat Angst, den eigenen oder fremden Ansprüchen nicht zu genügen? Tipps gegen Versagensangst von Erziehungsexperte Steven Pont
Bald ist Ihr Sohn (10) mit der Grundschule fertig. Sie haben die neue Schule sorgfältig ausgewählt, er schien sich auf den Schulwechsel zu freuen. Aber jetzt, da es fast so weit ist, sehen Sie, dass er sich immer mehr Sorgen macht. Wenn das Thema zur Sprache kommt, macht er dicht, und er hat auch keine Lust, Schulsachen zu kaufen. Was ist los?
So wie ein Raubtier sich auf seine Beute konzentriert und für den Angriff bereit macht, entsteht auch bei uns Menschen eine gewisse Anspannung, bevor wir eine Leistung erbringen sollen. Das sehen wir zum Beispiel bei SchauspielerInnen mit Lampenfieber oder an den angespannten Gesichtern von FußballerInnen, die ein wichtiges Spiel vor sich haben. Diese Art von Spannung ist gut, weil sie uns zu optimalen Leistungen verhilft.
Wenn ein Schauspieler jedoch schon ein paar Tage vor der Vorstellung angespannt ist oder eine Fußballerin nicht einschlafen kann, wenn sie an das Spiel in der nächsten Woche denkt, sieht die Sache schon anders aus. Die Anspannung fängt dann an, gegen sie zu arbeiten, und anstatt sie auf eine Leistung vorzubereiten, verhindert sie, dass sie sich entspannen können. Diese ständige Angst wird Versagensangst genannt.
PERFEKT ODER GAR NICHT
Was andere als eine Herausforderung sehen, empfinden Menschen mit Versagensangst vor allem als Bedrohung. In der Folge vermeiden sie alles, wovon sie auch nur im Geringsten vermuten, sie könnten es eventuell nicht, und würden somit versagen. Wenn es gar nicht anders geht – wie im Falle einer Prüfung –, wirkt diese Angst so lähmend, dass sie dadurch tatsächlich weniger gute Leistungen zeigen. So entsteht ein Teufelskreis: Die Angst verschlechtert ihre Leistungen, das wiederum nährt die Angst. Man geht davon aus, dass etwa zehn Prozent aller Kinder an Versagensangst leiden. Genaue Zahlen lassen sich kaum nennen, weil Versagensangst nichts ist, was man entweder im vollen Umfang oder gar nicht hat. Beispielsweise kann sie in der Schule keine Rolle spielen, im Fußballverein aber sehr wohl.
Manchmal ist sie der Grund dafür, dass ein Kind Sicherheit im Perfektionismus sucht, ausgehend von dem Gedanken, dass man nicht versagen kann, wenn man perfekt ist. So ein Kind büffelt zum Beispiel tagelang, weil es unbedingt eine Eins bekommen möchte. Andere Kinder hingegen erstarren oder laufen vor allem weg, was Anspannung mit sich bringt. Oft ist es eine Kombination von Faktoren, die dafür sorgt, dass ein Kind Versagensangst entwickelt. Manche Kinder sind von Natur aus ein wenig angespannter und fühlen sich auch überdurchschnittlich schnell beobachtet und beurteilt. Übrigens auch von sich selbst. Gelingt es ihnen zum Beispiel nicht auf Anhieb, ein Puzzle zu machen, vermeiden sie diese Tätigkeit künftig, weil sie sich übelnehmen, dass es nicht klappt.
Versagensangst kann aber auch entstehen, weil Eltern oder Lehrkräfte in der Schule ein Kind überfordern, wodurch es Leistungen mit Angst assoziiert. Eltern haben oft nicht so viel Einfluss auf die negativen Gedanken, die sich im Kopf ihres Kindes festgesetzt haben. Bemerkungen wie "Jetzt mach es einfach" helfen jeden falls nicht. Dadurch denkt Ihr Kind, dass es offensichtlich schon wieder etwas nicht richtig macht.
Sie können Ihrem Kind mit Geduld helfen, nachfragen, was genau ihm so viel Angst macht, und praktische Unterstützung anbieten. Hat ein Kind je doch wirklich Versagensangst, braucht es meist professionelle Hilfe. Es lernt dann zum Beispiel, woher bestimmte Gefühle kommen, wie es seine Gedanken ein wenig mehr unter Kontrolle bekommen und welche Strategien es in stressigen Situationen nutzen kann.
DIE BESTE FRAGE
Sie setzen sich abends zu Ihrem Sohn ans Bett und fragen, ob ihm vor dem Schulwechsel mulmig zumute ist und welche Gedanken ihm durch den Kopf gehen. Sie hören gut zu und versuchen, nicht sofort Lösungen anzubieten.
Die beste Frage, die Sie stellen können, ist: „Was brauchst du?“ Womöglich lautet die Antwort in diesem Moment einfach: „Hilfe beim Büchereinschlagen.“ Aber vielleicht bekommen Sie auch die Gelegenheit, gemeinsam zu besprechen, wie er am besten mit all dem umgehen sollte, was ihm im Kopf herumgeistert.
DREI TIPPS FÜR MEHR RUHE IM KOPF
Fragen Sie Ihr Kind: Was geschieht, wenn etwas nicht klappt? Was sagst du dann zu dir selbst? Wenn Sie die sogenannten nicht-hilfreichen Gedanken Ihres Kindes kennen, können Sie diese gemeinsam besprechen. Erklären Sie, dass ein Gedanke nicht unbedingt wahr zu sein braucht und dass man nicht auf ihn hören muss. Es ist nur ein Gedanke.
Setzen Sie Ihr Kind nicht unter Druck. Es darf schlechte Noten bekommen oder etwas nicht richtig machen. Sagen Sie ihm, dass das nicht schlimm ist und dass man daraus lernen kann. Wenn ein Kind spürt, dass Sie es vor allem lieben, wenn es gute Leistungen bringt, erhöhen Sie die Anspannung unnötig.
Bringen Sie Ihrem Kind bei, wie es sich entspannen kann. Durch Atemübungen wird sich sein Körper beruhigen, der Kopf zieht dann oftmals nach.
Quelle u. a.: A. Michou u. a., Enriching the hierarchical model of achievement motivation: Autonomous and controlling reasons underlying achievement goals, British Journal of Educational Psychology, 2014