Wie erzieht man Jungen und Mädchen gleichberechtigt?
Rosa und Blau sind für alle da: Der Psychologe und Erziehungsexperte Steven Pont gibt wertvolle Tipps zum Thema genderneutrales Erziehen
Spielenachmittag mit Cousins und Cousinen: Ihre Tochter baut mit allen zusammen eine Autorennbahn. Plötzlich hören Sie einen Ihrer Neffen sagen, eine Autorennbahn sei nichts für Mädchen. Kurze Zeit später spielen Ihre Neffen weiter mit der Rennbahn, während Ihre Tochter mit den Cousinen eine Modenschau veranstaltet. Alle Kinder sind zufrieden in ihr Spiel vertieft.
Abgesehen von ein paar Ausnahmen haben Kinder ein biologisches Geschlecht, das bereits bei der Geburt feststeht: Junge oder Mädchen. Zu diesem Geschlecht gehört auch ein Gender, also die gesellschaftliche, soziale Dimension von Geschlecht. Das Gender kann einem Kind im Weg stehen, wenn seine Eltern, andere Erwachsene oder sogar Kinder aus dem Umfeld dem Kind durch ihre eigenen (oft unbewussten) Vorstellungen bestimmte Entwicklungsbereiche verschließen und somit vielleicht auch bestimmte Talente im Keim ersticken.
Männer weinen nicht
Wenn einem Jungen zum Beispiel vermittelt wird, er solle nicht weinen, weil er ein Junge ist, lernt er auf diese Weise schon früh, seine Gefühle lieber nicht zu zeigen. Damit wird es für ihn später vielleicht schwieriger, ein einfühlsamer Lehrer zu werden oder ein verständnisvoller Arzt, der keine Scheu hat, mit seinen Patientinnen und Patienten auch über deren Seelenheil zu sprechen. Aber es gibt doch tatsächlich Unterschiede zwischen Jungen und Mädchen? Das ist wahr, so ist etwa das Gehirn von Mädchen etwas sprachlicher ausgerichtet. Was Rechnen angeht, gibt es diese Unterschiede übrigens nicht. Körperlich gibt es Unterschiede, etwa im Hinblick auf Kraft und Sexualität. Trotzdem sind die Übereinstimmungen zwischen Jungen und Mädchen um ein Vielfaches größer als die Unterschiede. Und diese kleinen Unterschiede sollten wir durch Erziehung nicht vergrößern.
Kleine Dinge
Viele Eltern glauben, dass sie ihre Kinder nicht allzu geschlechtsspezifisch erziehen. Schließlich spielt die Tochter Fußball und der Sohn lernt kochen. Aber der Teufel steckt im Detail, wie Studien schon oft gezeigt haben. So sollten erwachsene Versuchspersonen zum Beispiel mit einem Kind spielen, das die typische Kleidung des jeweils anderen Geschlechts trug. Dadurch dachten sie also zu Unrecht, es mit einem Jungen beziehungsweise einem Mädchen zu tun zu haben. Den "Mädchen" boten die Versuchspersonen weiches, lilafarbenes und rosa Spielzeug an, und sie sprachen viel mit ihnen. Den "Jungen" hingegen wurden Dinge wie Autos und Bauklötze angeboten, und es wurde weniger mit ihnen gesprochen. Im Nachhinein erschraken die Versuchspersonen, wie sie unbemerkt das Geschlecht des Kindes hatten bestimmen lassen, wie und womit sie mit den Kindern spielten.
Die Wahl
Natürlich sollten wir nun unseren Söhnen nicht einfach Puppen geben und unseren Töchtern Spielzeugautos. Es geht darum, Kindern viel Auswahl zu bieten und sie selbst entscheiden zu lassen, was zu ihnen passt und womit sie sich wohlfühlen. Übrigens heißt "viel Auswahl" keinesfalls "viel Spielzeug", sondern ein variiertes Angebot an Spielzeug – damit genügend Spielzeug da ist, sodass sich das Kind je nach Talent oder Wunsch damit beschäftigen kann. Beim nächsten Geburtstag wissen Sie also, was Sie zu tun haben, wenn die Cousins und Cousinen wieder da sind. "Komm", sagen Sie zu Ihrer Tochter, "hast du Lust auf ein Wettrennen auf der Autorennbahn?" Und wenn sie dann "Ja" sagt, sorgen Sie dafür, dass Sie eher bei der Autorennbahn sind als Ihre Neffen. Natürlich dürfen die dann einfach mitmachen.
Seien Sie achtsam – 7 Tipps:
- Achten Sie mal eine Weile darauf, was Sie zu Kindern sagen. Sind Ihre Bemerkungen auch schon mal Gender-bestätigend? Wie können Sie sich neutraler oder gleichwertiger an Kinder wenden?
- Bieten Sie Ihrem Kind unterschiedliche Arten von Spielzeug an, damit es eine Auswahl hat.
- Achten Sie darauf, dass Sie Ihr Kind nicht in eine geschlechtsspezifische Richtung schieben, etwa bei der Studienwahl: Lassen Sie Ihrem Kind Raum, eigenständig zu entscheiden.
- Ein wenig ältere Kinder können Sie auf Genderrollen hinweisen (zum Beispiel in der Werbung) und diese besprechen. Fragen Sie die Kinder nach ihrer Meinung dazu.
- Richten Sie das Kinderzimmer nach dem Geschmack und den Vorlieben Ihres Kindes ein, nicht nach dem Geschlecht.
- Schauen Sie, wie Sie die Aufgaben zu Hause verteilt haben. Bestätigen sich für Ihr Kind dadurch bestimmte Rollenbilder?
- Lesen Sie Bücher, in denen die Rollen traditionell verteilt sind, mal mit umgekehrten Jungen- und Mädchenrollen vor.
Quellen u. a.: S. Yeung, W. Wong, Gender labels on gender-neutral colors: Do they affect children’s color preferences and play performance?, Sex Roles, 2018 / C. Rivers, R. Barnett, The Truth About Girls and Boys: Challenging Toxic Stereotypes About Our Children, Columbia University Press, 2011