Wenn der Vater bei den Kindern bleibt
Tritt der Mann beruflich kürzer oder wird gar Hausmann, finden viele das immer noch komisch. Warum ist das so und wie kommen wir aus den traditionellen Rollenmodellen raus?
"Väter, die für die Kinder sorgen, stoßen an eine gläserne Decke“, sagt Melissa Vink, Psychologin an der Universität Utrecht. Sie hat untersucht, warum sich traditionelle Rollenmodelle so hartnäckig halten und wie sie sich auf nicht-traditionelle Familien auswirken. Die "gläserne Decke" für Männer lasse sich mit der von Frauen im Berufsleben vergleichen, so Vink. "Frauen müssen sich oft doppelt so stark beweisen wie ihre männlichen Kollegen, und Hausmänner müssen doppelt so viel erklären. Von Männern wird noch immer erwartet, dass sie das Geld verdienen, und von Frauen, dass sie für die Kinder sorgen. Dreht man die Rollen um, unterstellt das Umfeld meist, dass es aus der Not heraus passiert, etwa weil der Mann arbeitslos ist."
Wie tief diese Annahmen verankert sind, belegt eine US-Studie, in der Teilnehmern der fiktive Fall von "Michael und Anne" vorgelegt wurde. War "Michael" mit einem niedrigeren Status ausgestattet als seine Partnerin "Anne", gingen die Versuchspersonen automatisch davon aus, dass er mit seinem Leben – und der Beziehung – unglücklicher war. Michael wurde für weniger "männlich" – hier: kompetent, ehrgeizig, unabhängig – gehalten, und man nahm an, er selbst leide auch darunter.
In fast drei Viertel der deutschen Familien ist der Mann der Haupternährer und die Frau arbeitet Teilzeit und sorgt für die Kinder. In nur zwei Prozent der Familien ist es umgekehrt.Oft hat die Frau dann eine derart verantwortungsvolle Arbeit, dass der Vater beschlossen hat, Hausmann zu werden, in Vollzeit oder mit einem Teilzeitjob kombiniert. Diese Wahl lässt sich nicht mit einem unterschiedlichen "Talent für Kindererziehung" erklären. Oft wird noch angenommen, Frauen seien die idealen Versorgerinnen, da sie die Gefühle ihrer Kinder besser verstünden, aber neurologische Forschungen aus den USA widerlegen das. Es hängt nur davon ab, welches System im Gehirn aktiv ist: das emotionale oder sozial-kognitive. Ersteres ist vor allem bei primären Erziehungspersonen aktiv und sensibilisiert diese für die kindlichen Bedürfnisse.
Das zweite ist bei den sekundären Versorgern aktiv und macht sie zum eher praktisch eingestellten "Planer" – unabhängig vom Geschlecht. Ist der Vater der primäre Versorger, ist auch bei ihm das emotionale System am aktivsten. Und es macht ihm nicht weniger Spaß, schlussfolgert Forscherin Alyssa Croft. Männer, die für die Kinder sorgen, empfinden ihre Aufgabe als sehr bereichernd und positiv für ihr Wohlbefinden und ihre Beziehung.
Schwieriger ist für Paare, die das Rollenmodell umdrehen, dies im Umfeld zu vertreten. Das sei schade, denn darüber zu reden könne starre Rollenklischees durchbrechen, sagt Psychologin Vink. Aber auch die Partner selbst hadern womöglich mit ihren Erwartungen. "Wir haben Vorstellungen über die Rollenverteilung so sehr verinnerlicht, dass Paare, die sie umdrehen, das Gefühl haben, es sei unnatürlich.“ Das kann zu Kompensationsverhalten führen, zeigt eine australische Studie: Um ihre Abwesenheit "wettzumachen", tun Karrierefrauen verhältnismäßig viel mehr im Haushalt als Frauen mit Teilzeitjob.
Dieser "Rollentausch" kann sogar zu psychischen Beschwerden führen, belegt eine Studie, in der Gehaltsabrechnungen und Medikamentenverbrauch zueinander ins Verhältnis gesetzt wurden. Ergebnis: Männer, die weniger verdienen als ihre Frau, nahmen öfter Erektionsmittel, und Frauen, die mehr verdienen als ihr Mann, wurden mehr Schlaftabletten und Angsthemmer verschrieben. Den psychologischen Mechanismus dahinter erklären die Forscher zwar nicht, sie sehen aber einen engen Zusammenhang zwischen Normen in Sachen "Haupternährer" und "funktionierende Beziehung".
Trotzdem verschieben sich die Rollen durchaus. Seit 1965 investieren Männer viermal so viel Zeit in ihre Kinder. Und laut einer Umfrage von 2017 finden es über zwei Drittel der Eltern gut, wenn der Vater zu Hause bleibt. Das eröffnet Perspektiven für die Zukunft: Je mehr Männer die primäre Erziehung auf sich nehmen, desto mehr Vorbilder stehen der nächsten Generation zur Verfügung. Und umso freier werden sich Jungen, Mädchen, Männer und Frauen fühlen, eigene Entscheidungen zu treffen – fern jeder Rolle.
Quellen u. a.: E. Abraham u. a., Father’s brain is sensitive to childcare experiences, PNAS, 2014 / A. Croft u. a., An underexamined inequality, Personality and Social Psychology Review, 2015 / G. Dotti Sani, J. Treas, Educational gradients in parents’ child-care time across countries, 1965–2012, Journal of Marriage and Family, 2016