Positive Erziehung: Wie Sie Konflikte ohne Strafen lösen
Entwicklungspsychologe Steven Pont gibt ratlosen Eltern Erziehungstipps in der neuen Rubrik "Positive Erziehung".
Mit einem Hammer schlägt Ihr vierjähriger Sohn auf die Heizung – schon zum dritten Mal. Sie nehmen ihn am Arm und verbannen ihn auf seinen Stuhl im Flur, den naughty chair. Und setzen sich selbst an den Kuüchentisch – mit gemischten Gefühlen.
Langfristige Konsequenzen von Strafen
Strafen setzen wir ein, um unerwünschtes Verhalten bei Kindern zu beeinflussen. Oft funktioniert es: Die Wahrscheinlichkeit, dass Ihr Kind direkt da nach das Gleiche wieder tut, ist nicht sonderlich groß. Aber dass sie kurzfristig wirkt, bedeutet nicht, dass die Strafe auch pädagogisch sinnvoll ist. Denn ihre Auswirkungen gehen oft über den Moment hinaus: Kinder, die häufig bestraft werden, mobben ihre Mitschüler öfter, haben verstärkt Bindungsprobleme und entwickeln zudem ein weniger gut funktionierendes Gewissen als andere.
Impulskontrolle entwickelt sich
Wenn Sie sich in ein kleines Kind hineinversetzen, sehen Sie, dass es für dieses sehr schwierig ist, seine Impulse zu unterdrücken. Mit steigendem Alter und besser entwickeltem Neokortex kann es sich dahingehend besser kontrollieren. Das können Sie nicht erzwingen, aber Sie können mit gutem Beispiel vorangehen. Statt Kinder für ihr impulsives Verhalten zu bestrafen, verdienen sie unsere Erklärung und Begleitung. Das kann durchaus mal energischer passieren, da schon zum dritten Mal. Sie so deutlich machen, was geht und was nicht.
Auf Gewalt folgt Gewalt
Körperliche Züchtigung von Kindern ist in Deutschland seit dem Jahr 2000 verboten – vollkommen zu Recht. Eigentlich ist es eine Schande, dass wir so lange gebraucht haben, um zu der Erkenntnis zu kommen, dass wir Kinder auch vor dieser Art von Gewalt schützen müssen. Laut einer Studie der University of Pittsburgh kühlt in Familien, in denen viel gestraft wird, die Beziehung zwischen Eltern und Kindern auf Dauer ab. Vor allem körperliche Strafen richten viel Unheil an. Eine Studie des kanadischen McGill Institute for Health and Social Policy zeigt, dass in Ländern, in denen körperlich gestraft wird, die Gewalt von Jungen untereinander gut 30 Prozent höher liegt (und unter Mädchen sogar 40 Prozent höher) als in Ländern, in denen körperliche Züchtigung nicht erlaubt ist.
Maßregeln aus Machtlosigkeit
Obwohl lediglich körperliche Strafen verboten sind, können natürlich auch andere Formen von Strafe schaden. Die meisten Bestrafungen zielen schließlich darauf ab, ein bestimmtes Verhalten bei einem Kind zu erzwingen, indem man es erniedrigt: es zwingt, in sein Zimmer zu gehen, ihm keinen Keks gibt, der kleinen Schwester aber sehr wohl, es Laub im Garten zusammenrechen lässt ... Nochmals: Das funktioniert, aber immer nur vorübergehend. Wir müssen also nach anderen Mitteln suchen, um das Verhalten unserer Kinder zu korrigieren. Das ist besser für ihre Entwicklung, für die Beziehung zu ihnen und für die Gesellschaft als Ganzes. Ein Kind zu bestrafen zeugt mehr von Machtlosigkeit denn von guten Erziehungsfähigkeiten.
Nicht Maßregeln, sondern...
Sie kennen Ihr Kind gut und ahnen oft schon vorab, dass es sich gleich „daneben“-benehmen wird. So können Sie potenzielle Konflikte abwenden:
- Erkennen Sie die Vorboten. Sie sehen zum Beispiel, dass Ihr Kind müde ist? Dann ist die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass es sich mit einem Geschwisterkind streiten wird. Greifen Sie ein, indem Sie Ihr Kind zum Beispiel eine Weile allein malen lassen.
- Ablenken. Verändern Sie die Situation, etwa indem Sie gemeinsam ein Bilderbuch lesen oder, wenn es sich um ein älteres Kind handelt, es zum Einkaufen mitnehmen.
- Lassen Sie einem Kind, das gern seinen Willen durchsetzt, die Wahl. Beispielsweise zwischen zwei möglichen Outfits für den nächsten Tag oder, bei einem Jugendlichen, entweder freitags oder samstags auszugehen. Versuchen Sie, den Grund für das unerwünschte Verhalten herauszufinden. Vielleicht kam Ihr Kind ja nur zu spät zum Essen, weil es noch einem Freund geholfen hat?
Auch so können Sie Verhalten korrigieren:
- Gehen Sie mit gutem Beispiel voran. Zu schreien, dass die Kinder nicht so schreien sollen, ist nicht sinnvoll.
- Sagen Sie dem Kind, warum Sie sein Verhalten nicht akzeptieren. Fragen Sie nach, ob es diesen Grund wirklich verstanden hat. Sind Sie wütend geworden, kommen Sie darauf zurück, wenn sich die Lage wieder beruhigt hat. Erklären Sie, warum Sie wuütend waren. Während des Konflikts hat Ihr Kind dafür kein Ohr, aber bespricht man den Konflikt nachher, kann es daraus etwas lernen.
Und zum Schluss:
- Erziehen ist korrigieren. Dass ein Kind konfliktlos aufwächst, ist ein Mythos. Das sollten Sie akzeptieren.
Steven Pont ist nicht nur Entwicklungspsychologe und Systemtherapeut, sondern auch Mediator und Autor von Büchern über Familie und Erziehung. In unserer neuen Rubrik "Positive Erziehung" gibt er ratlosen Eltern Erziehungstipps.
Quellen u.a.:
- F. Elgar u.a., Corporal punishment bans and physical fighting in adolescents: An ecological study of 88 countries, BMJ Open, 2018
- R. Hentges, M. Wang, Gender differences in the developmental cascade from harsh parenting to educational attainment: An evolutionary perspective, Child Development, 2017
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