Kriegen wir zwei das doch noch hin?
Psychologin Sandra Konrad schreibt in ihrer Kolumne über das Leben aus Therapeutensicht. Diesmal: Warum Therapie genau genommen nichts anderes ist als ein Ausflug in die Wildnis – und ein Trip in Richtung Vertrauen
Vorigen Sommer saß ich das erste Mal in einem Kajak. Die Sonne schien, der Himmel war blau, das Meer eiskalt, und die Wellen waren hoch. Hinter mir wackelte mein Mann mal nach rechts, mal nach links, während ich panisch mein Gewicht in die jeweils andere Richtung legte und rief: „Nicht wackeln!“, woraufhin er antwortete: „Ich wackle gar nicht, das ist das Meer!“ Wir kamen uns mit den Paddeln ins Gehege, spritzten uns aus Versehen gegenseitig nass, und ich kann Ihnen sagen: Dick und Doof hätten sich besser angestellt als wir.
„Glaubst du immer noch, dass ein Tandem die bessere Wahl für uns gewesen ist als zwei Einzel-Kajaks?“, fragte ich Mo, unseren diplomierten Maine-Wildnis-Führer und Kajak-Lehrer. Er lachte. „Ihr kriegt das schon hin. Gemeinsam das erste Mal im Kajak zu sitzen, das schweißt irgendwann zusammen.“
Und dann, nach etwa einer halben Stunde, wurde es tatsächlich leichter – unsere Bewegungen wurden harmonischer, aus Paddelkrampf wurde Teamwork, aus Wackeln Gleiten. Als Wind aufzog und die Wellen höher schlugen und ich mir vorstellte, wie Millionen von Haien sich unter uns zusammenrotteten, um uns im Falle des Kenterns sofort zu fressen, war Mo neben uns und sagte ruhig mit seiner dunklen Stimme: „No matter what, keep paddling.“ Einfach weiterpaddeln.
Rechts, links, rechts, links, die Wellen überall, Gischt im Gesicht und ein Gefühl im Magen wie über Kopf in der Achterbahn. Und dann die Überraschung: Dort in einem kleinen Plastikboot auf dem Atlantik, da fühlte ich plötzlich ein tiefes Vertrauen – alles ist gut, alles wird gut. Einfach weiterpaddeln.
Dieses Gefühl würde ich gern weitergeben. Und hoffe, ich tue das schon seit Jahren. Denn genau genommen ist Therapie ja nichts anderes als ein Ausflug in die Wildnis: durch unseren Gefühlsdschungel, in dem wir uralten Ängsten begegnen, Überraschendes erleben und so viele Abenteuer überstehen, dass wir Schritt für Schritt mehr Vertrauen entwickeln – in uns und in die Welt.
Mein Job als Therapeutin ist es, Menschen auf dieser Reise zu sich selbst zu begleiten, Ruhe und Gelassenheit zu bewahren, auch wenn Stürme aufkommen, weil ich weiß, dass es ihnen gelingen wird, gestärkt ans Ufer zurückzukehren. Weil ich weiß, dass Konflikte und Krisen zum Leben dazugehören und wir an ihnen wachsen können.
Als mein Mann und ich am Ende unseres langen Urlaubs überlegten, was uns beiden am besten gefallen hatte, waren wir uns einig: die Kajak-Tour. Etwas, was so holprig begonnen und sich so schön entwickelt hatte. Und zwar deshalb, weil wir Geduld hatten. Vertrauen in unseren Lehrer. Und weil wir einfach weitermachten.
„Meinen Sie, dass wir unsere Beziehung retten können?“, wurde ich schon oft von Klienten gefragt. „Wenn Sie beide es wirklich wollen, dann werden Sie das schaffen“, antworte ich dann immer. Mo würde das Gleiche in zwei Worten sagen: Keep paddling. //
Dr. Sandra Konrad ist Paar- und Familientherapeutin in Hamburg und schreibt in PSYCHOLOGIE bringt dich weiter eine regelmäßige Kolumne. In ihrem dritten Buch "Das beherrschte Geschlecht" (Piper) bezieht die Psychologin klar Stellung: Sie entwirft ein vielschichtiges „Porträt“ der weiblichen Sexualität, wie sie durch die Gesellschaft bestimmt wird und wie das bis heute Gleichberechtigung behindert – durch ein falsches Schönheits- und Sexverständnis, männliche Machtausübung und Frauen, die sich dem unterwerfen.