"Die offene Beziehung ist eine Übergangslösung"
Bedeutet Liebe ohne Exklusivitätsanspruch wirklich mehr Freiheit? Paartherapeut Pedram Moghaddam verrät im Interview, was eine offene Beziehung ausmacht - und wie fortschrittlich und erstrebenswert sie ist
Ist die offene Beziehung ein einfaches oder schwieriges Beziehungsmodell?
Ein schwieriges, denn Kommunikation und klare Abmachungen werden wichtiger, als in Beziehungen zwischen nur zwei Partnern. Es müsste noch mehr Ehrlichkeit und Offenheit herrschen. Zudem lassen sich Sex und Liebe manchmal schwer trennen, was wiederum zu Eifersucht führen kann. Man muss dem Partner in der gemeinsamen Zeit vor allem das Gefühl geben, dass währenddessen die volle Aufmerksamkeit bei ihm liegt. Interessant ist, dass nur etwa ein Prozent der Paare die offene Beziehung gleichermaßen wollen. Natürlich gibt es auch besondere Fälle, in denen ein Partner vielleicht gesundheitlich eingeschränkt ist und der sexuelle Kontakt mit anderen Menschen dann ganz neue Möglichkeiten bietet.
Die Exklusivität fällt bei offenen Beziehungen weg. Was macht die Beziehung dann aus?
Es ist für einige Menschen durchaus in Ordnung, wenn der Partner mit anderen Menschen schläft und man als Paar trotzdem zusammen bleibt. Da müssen allerdings klare Regeln kommuniziert und auch eingehalten werden. Beispielsweise kann man vereinbaren, eine Affäre nicht mehr als zweimal zu treffen. Darauf müssen sich dann beide Partner verlassen können. Viele Leute denken, Freiheit bedeutet keine Regeln zu haben – es ist aber genau umgekehrt. Es braucht einen eindeutig definierten Handlungsrahmen, um frei zu agieren. Häufig heißt es, es sei intellektuell fortgeschrittener eine offene Beziehung zu führen. Dem stimme ich nicht zu, weil ich es als wichtig erachte, ein solches Verlangen auch zu hinterfragen. Der Wunsch nach anderen Sexualpartnern ist biologisch begründet, aber warum scheint dieser manchmal unüberwindbar? Wie könnte man das als Paar lösen?
Man redet von einer pseudo-offenen Partnerschaft, wenn nur ein Partner das Modell lebt, was dann gern als Notlösung bezeichnet wird.
Das ist dann tatsächlich auch eine Notlösung. Oft leidet die Person, die den Vorschlag macht, an einer Art Mangel. Wie durch einen inneren Zwang muss dieses Bedürfnis nach anderen, neuen Partnern dann wiederholt befriedigt werden. Das Problem ist, dass die Beziehungspartner in diesem Moment nicht mehr gleichberechtigt sind und auch nicht mehr an einem Strang ziehen, weil die Wünsche des anderen übergangen werden.
Was können das für Mangelerscheinungen sein?
Zum Beispiel das Gefühl nicht frei zu sein oder genug Raum zu haben. Oft hat die jeweilige Person schon vorher Situationen erlebt, in die sie reingedrängt wurde, ohne entfliehen zu können. Wenn derartige Trigger wieder auftauchen, wird der Drang des ‚Rausmüssens’ erneut ausgelöst. Oder jemand hat ständig Angst, etwas zu verpassen: spannende Bekanntschaften oder auch sexuelle Abenteuer. Die Gründe können ganz unterschiedlich sein. Meist laufen diese Handlungsmuster unbewusst ab.
Sexuelle Erfüllung könnte aber auch ein Grund sein, denn über die Hälfte der Deutschen sehen ihre intimen Wünsche in der Partnerschaft nicht erfüllt ...
Sexuelle Unzufriedenheit ist eines der schwerwiegendsten Probleme innerhalb von Partnerschaften. Allerdings bin ich kein Freund davon, solche Konflikte einfach zu überlagern. Die offene Beziehung ist nicht unbedingt die Lösung für sexuelle Durststrecken. Allerdings kommt es auch darauf an, ob beide Partner glücklich miteinander sind. Sind sie dies und leben sie eine harmonische Beziehung, in der sie zusätzlich andere Menschen ohne Zwang treffen, spricht nichts dagegen.
Würden Sie sagen, die Beziehung wird oft geöffnet, weil nicht mehr genügend Interesse aneinander besteht?
Genau das denke ich! Solche Lösungsansätze kommen häufig zustande, wenn man es als Paar nicht geschafft hat, offen miteinander zu kommunizieren. Wenn nicht ehrlich über Emotionen gesprochen wird, ist das bereits eine Form von gestörter Kommunikation. Was manchmal dazu führt, dass verzweifelt nach Auswegen gesucht wird, die dann zu noch mehr Problemen führen. In solchen Fällen kann eine tatsächliche Trennung sinnvoller sein, damit beide Partner sich neu entdecken können.
Mehr Freiheit, weniger Angst – so könnte man das Konzept für offene Beziehungen beschreiben. Klingt doch eigentlich gut, oder?
Diese Freiheit, die uns da vorschwebt, beruht aber vor allem auf den eindeutigen Regeln und der verantwortungsvollen, offenen Kommunikation und nicht auf sexueller Verantwortungslosigkeit. Es ist natürlich befreiend, über Seitensprünge offen reden zu können und nichts verheimlich zu müssen. Evolutionär ist die offene Beziehung vielleicht erst mal nachvollziehbar, aber so gesehen wiederum überhaupt nicht modern, da hierbei eher den Trieben nachgegangen wird.
Also ist die offene Beziehung doch nicht so modern wie ihr Ruf?
Einerseits empfinde ich es als modern, über sein Verlangen zu sprechen. Besser offen damit umgehen als eine Beziehung, in der man versteckt fremdgeht. Darüberhinaus kann es allerdings noch etwas geben, etwa sich mit nur einem Sexualpartner trotzdem erfüllt zu fühlen. Eine Therapie könnte dabei helfen, diese innere Erfüllung zu stärken.
Trotzdem ist zu beobachten, dass viele Menschen sich zwar Geborgenheit und Zweisamkeit wünschen, aber nicht nur mit einem Partner. Warum ist das so reizvoll?
Das hat tatsächlich auch mit dem Alter zu tun. Natürlich probiert man in den 20ern mehr aus und experimentiert viel mit Beziehungskonstellationen. Das sollte man auch unbedingt tun! Häufig endet das, wenn der Kinderwunsch stärker wird. Da sind plötzlich Stabilität und Sicherheit gefragt, was eine feste Partnerschaft zwischen zwei Menschen eher bietet als ständig wechselnde Partner.
Viele Menschen empfinden allerings Angst oder Ablehnung gegenüber den Exklusivitätsvereinbarungen, die eine feste Beziehung beinhaltet. Ist die offene Beziehung die Lösung für derlei Probleme?
Ich glaube nicht. Viele spielen dabei auch nur mit, weil sie denken, der Partner würde irgendwann zur ‚Besinnung’ kommen und sich endgültig für sie entscheiden. Meist werden sie enttäuscht, weil diese besondere Vereinbarung oft endet, wenn sich der Partner ernsthaft in eine andere Liebschaft verliebt. Dann kommt es erst mal zur Eifersucht und vielleicht sogar zur Trennung. So gesehen ist die offene Beziehung eher eine Übergangslösung, zumindest für die Mehrheit. Studien zeigen, dass 97 Prozent der Paare in Deutschland sich Treue wünschen.
Wie weit ist der Schritt von der offenen Beziehung zur Polyamorie, der Idee, dass wir dauerhaft mehrere Menschen lieben können?
Für mich ist die Polyamorie eher nachvollziehbar. Denn auch wenn es bei offenen Beziehungen ausschließlich um Sex gehen soll, kann man die Gefühle nie ganz ausschalten. Man öffnet sich dem Gegenüber eben auch emotional, um mehr zu empfinden. In dem Moment, wo man sich voll auf die andere Person einlässt, entstehen tiefere Gefühle. Ich glaube nicht, dass es unserem Instinkt entspricht, sexuellen Kontakt ohne jegliche Art von Emotion zu haben. Die Intensität ist bei polyamorösen Verbindungen anders. Und ein großer Unterschied besteht natürlich darin, von den anderen festen Partnern zu wissen. Hier werden die nebenherlaufenden Liebesbeziehungen erheblich öfter thematisiert, weil sie Teil des Ganzen und keine kurzweiligen Affären sind.
Ist Monogamie jetzt also ein überholtes Konzept?
Es gibt einfach verschiedene Formen von Beziehungen in unterschiedlichen Lebensphasen. Monogamie ist, wie die Forschung belegt, keineswegs ein überholtes, veraltetes Konzept. Trotzdem gelingt es vielen nicht, treu zu sein. Die Lösung kann aber nicht sein, bloß die Beziehungsform zu verändern. Man muss das Problem an dessen Wurzel angehen. Personen, die als Single unglücklich sind, werden sowohl in einer monogamen als auch in einer offenen Partnerschaft unglücklich sein, weil wir zuerst die Beziehung zu uns selbst pflegen müssen. Das Glück im Außen zu suchen ist immer falsch, weil die Umgebung nicht verantwortlich für mein persönliches Glück ist.