"Den Partner zu hassen ist nur menschlich"
Sadismus und Zorn gehören zur Ehe, sagt Sexual- und Paartherapeut David Schnarch. Nicht gerade eine romantische Sicht der Dinge, aber Schnarch ist alles andere als zynisch. Er glaubt in der Liebe an gesunden Egoismus – und ans Durchhalten
Die Ehe – oder eigentlich jede lange Liebesbeziehung – ist eine ungeheure Aufgabe, da ist sich Sexual- und Paartherapeut David Schnarch sicher. Sie ist frustrierend, schmerzhaft und fördert unsere unangenehmsten Wesenszüge ans Tageslicht. Bei keinem anderen Menschen erleben wir ein derartiges Ausmaß an Wut, Hass und Sadismus wie mit unserem Partner oder unserer Partnerin. Sollten wir uns daher überhaupt auf die Ehe einlassen? Bei dieser Frage muss Schnarch polternd lachen. "Ja, erst recht!" Und er fährt ernsthaft fort: "Die Ehe bietet uns eine einzigartige Chance auf persönliches Wachstum. Nirgends erfährt man so viel über sich und erlebt so viel Tiefe wie in der Beziehung mit dem Lebenspartner. Aber man muss bereit sein, hart dafür zu arbeiten – und muss wissen, worauf man sich einlässt."
Letzteres sei die Crux, so Schnarch, der mit seiner Frau Ruth weltweit Paare in Gruppentherapien begleitet. "Unsere Erwartungen an die Ehe sind vollkommen unrealistisch. Im Westen, vor allem hier in Amerika, leben wir in einer Feelgood-Kultur. Alles muss leicht gehen, schön und angenehm sein." Von dem Straßencafé aus, in dem wir in Los Angeles sitzen, weist er auf die unzähligen Werbetafeln, die sich hinter Palmen in der frühen Abenddämmerung abzeichnen. "Jede einzelne verspricht schnelle Befriedigung. Und die erwarten wir auch von unseren Beziehungen. Wir glauben, die Ehe werde all unsere Probleme lösen. Dass wir, einmal verheiratet, nie mehr wirklich Angst haben oder einsam sein müssen. Dass unser Partner, unsere Partnerin immer spürt, was wir brauchen, und dafür sorgt, dass wir uns gut fühlen. Wenn man so denkt, kann es nicht anders als schiefgehen."
Trotzdem haben Sie noch Hoffnung?
Sicher. Vergessen Sie nicht, dass die Ehe, so wie wir sie jetzt kennen, evolutionär besehen ein ganz neues Phänomen ist. Dass wir unsere Partner selbst wählen können und finanziell dabei oft vom anderen unabhängig sind, ist noch keine 100 Jahre so. Wenn man sich das überlegt, ist es kein Wunder, dass wir noch nicht so gut darin sind. Wir stecken noch mitten im Lernprozess. Und der hat Höhen und Tiefen.
Aber Sie sagen zugleich, dass wir unsere Partner mehr denn je auch hassen und sadistisch behandeln.
Sadismus ist eine normale menschliche Neigung. Wir assoziieren ihn mit Peitschen und Gummimasken, aber die eigentliche Bedeutung ist: Man fügt einem anderen Schmerzen zu und genießt das. Vielleicht ist es nichts, auf das man stolz sein kann, aber wir alle haben diese Neigung, wir müssen es nur endlich zugeben. Gerade in einer Partnerbeziehung sind wir sadistisch, weil der andere uns am leichtesten verletzen kann. Vor allem, wenn unsere Erwartungen so unrealistisch hoch sind. Dann können wir gar nicht anders als enttäuscht werden. Unsere erste Reaktion ist dann oft, es dem anderen heimzuzahlen.
Inwiefern?
Indem wir lügen oder dem anderen etwas vorenthalten, was dieser gern möchte. Das geschieht oft im Schlafzimmer. In Sexratgebern liest man häufig: Sagen Sie dem anderen, was Sie angenehm finden. Unsinn! Der weiß oft haargenau, was Sie möchten, gibt es Ihnen aber nicht, weil er bewusstoder unbewusst wütend auf Sie ist. Das Problem ist aber nicht so sehr die Wut, sondern die Tatsache, dass wir sie nicht anerkennen. Genau wie wir unrealistische Erwartungen an unsere Partner haben, erwarten wir auch von uns selbst Unmögliches: Wir dürfen keine Wut empfinden gegenüber demjenigen, den wir lieben, ganz zu schweigen von Hass. Das finden wir gruselig, als könnten diese Gefühle unsere Liebe vernichten. Aber gerade weil wir sie unterdrücken, gerät die Beziehung unter Druck. So entstehen unterschwellige Konflikte und Zankereien, wir fühlen uns unverstanden und allein.
Sie meinen also, den Partner zu hassen sei nicht destruktiv?
So ist es. Natürlich ist es kein gutes Zeichen, wenn Partner sich plötzlich intensiv hassen. Aber dass es vorkommt, ist sicherlich nicht befremdlich. Auch Hass ist ein normales, menschliches Gefühl. Und das Widersprüchliche daran: Je weniger wir diese dunklen Seiten fürchten, desto weniger Kontrolle haben sie über uns und unsere Beziehung. Und je besser wir sie verstehen lernen und mit ihnen umgehen können, desto stärker werden wir selbst.
Eine von drei Ehen scheitert. Geben wir zu schnell auf?
Absolut. Sobald es zu – unvermeidlichen – Konflikten kommt, schließen wir schon sehr bald daraus, dass wir nicht zueinander passen. Oder uns auseinandergelebt haben. Und es liegt dann natürlich immer am Partner, nicht an uns selbst. Der andere versteht uns nicht, strengt sich zu wenig an. Aber eigentlich ist es eher so, dass wir emotional erwachsen werden müssen.
Erwachsen – das sind wir aber doch schon längst.
Viele Leute sind zwar physisch erwachsen, wenn sie heiraten, aber nicht emotional. Oft suchen Menschen ihr Heil bei jemand anderem, wenn ihre Beziehung nicht mehr rundläuft. Letztlich stoßen sie aber bei ihrer Affäre oft auf dieselben Frustrationen wie beim eigentlichen Partner. Erst wenn man anfängt, diese zu überwinden, wächst man.
Aber ist es nicht so, dass manche Menschen besser zu einem passen als andere? Vielleicht wählen viele, wenn sie sich zum Beispiel sehr jung binden, nicht den richtigen Partner?
Daran glaube ich nicht wirklich. Natürlich: Wenn jemand verbal oder physisch gewalttätig ist oder sich überhaupt keine Mühe gibt, an sich oder der Beziehung zu arbeiten, ist es Zeit zu gehen. Aber ich glaube, dass man im Prinzip mit viel mehr Menschen eine gute Beziehung haben kann als nur mit dem Partner, mit dem man aktuell zusammen ist. Dass es für jeden von uns den einen Wahren gibt, ist ein Märchen. Es ist genauso Unsinn wie der Gedanke, dass Ihr Partner Sie glücklich machen wird. Das kann und wird er nicht. Im Gegenteil: Ein guter Partner ist gerade jemand, der nicht all Ihre Wünsche wahr werden lässt. Ein guter Partner ist a pain in the ass.
Was meinen Sie damit?
Nun, wer will schon eine Beziehung mit jemandem, der nur macht, was man will? Der einem nach dem Mund redet? Ein Sexualpartner wird erst attraktiv, wenn er eine starke, erwachsene Person mit einer eigenen Identität ist. Er oder sie hat also seine eigenen Bedürfnisse und Wünsche, die auf Ihre prallen. Das geht gar nicht anders. Und es ist auch nicht schlimm, im Gegenteil: Echte Intimität entsteht erst, wenn man gemeinsam die schlimmste Krise überstanden hat. Wenn man einen toten Punkt erreicht hat – und das geschieht in jeder Ehe – und man ihn überwindet. Dann bekommt die Beziehung, und auch der Sex, eine Tiefe, die Sie nie für möglich gehalten hätten.
Aber wie schafft man das? Wie überwindet man diesen Punkt?
Viele Paare, die zu uns in die Therapie kommen, klagen, sie hätten sich entfremdet, obwohl sie in Wirklichkeit geradezu abhängig voneinander sind. Wir nennen das: emotional fusioniert. Die Partner sind vollkommen aufeinander bezogen, leben mit dem – oft unbewussten – Anspruch, ihr Partner müsseall ihre Bedürfnisse spüren, und sind ständig verärgert und frustriert, weil diese Erwartung nicht erfüllt wird.
In der Therapie richten wir uns auf die sogenannte Selbstdifferenzierung. Die Partner sollen sich wieder auf sich selbst konzentrieren und sich gerade vom anderen lösen. Ich meine nicht, dass sie sich vorübergehend trennen sollen – sie sollen sich auf ihre eigenen Bedürfnisse richten. Sie müssen lernen, sich selbst zu geben, was sie brauchen. Also: Liegen Sie Ihrem Partner in Sachen Anerkennung nicht mehr in den Ohren. Sie wollen nicht mehr von ihm oder ihr hören, dass Sie so nett oder gut aussehend sind, sondern Sie sagen sich das jetzt selbst. Passen Sie Ihr Verhalten nicht mehr den Wünschen des Partners an – in der Hoffnung auf Akzeptanz –, sondern seien Sie Sie selbst, samt aller Seiten, die Ihr Partner vielleicht weniger schätzt. Das ist kein leichter Prozess, aber der einzige, der zu einer erwachsenen, starken Beziehung führt.
Es scheint widersprüchlich, aber gerade wenn beide Partner bereit sind, sich mehr voneinander zu lösen, finden sie sich neu. Sie sind jetzt stärker und unabhängiger und dadurch auch attraktiver. Und wenn sie gelernt haben, sich selbst glücklich zu machen, finden sie auch das Glück wieder beieinander.
Braucht man für einen solchen Prozess immer eine Therapie?
Bestimmt nicht. Viele Paare beginnen ihre Paartherapie auch mit unrealistischen Erwartungen – sie wollen eine maßgeschneiderte Lösung. Einen Therapeuten, der sagt, was sie machen sollen, ihnen ein paar praktische Tipps gibt: Massagetechniken, Tipps für eine bessere Kommunikation. Aber so funktioniert das nicht. Viele Menschen behaupten, sie vermissten Intimität. Aber sie verwechseln Intimität damit, ein gutes Gefühl zu haben und sich verstanden zu fühlen. Ich glaube, man kann erst mit einem anderen Menschen wirklich intim sein, wenn man gelernt hat, wer man selbst ist, und das auch äußern kann. Das ist ein Prozess, den man zuallererst allein durchlaufen muss. Für eine gute, erwachsene Beziehung muss man eben erst selbst erwachsen werden. Und das ist nun mal nicht leicht! Es bedeutet nämlich auch, zu realisieren, dass Einsamkeit, Schmerz und Verlust zum Leben gehören. Und dass ein Partner das niemals ändern kann. Das intime Zusammenleben mit jemand anderem kann jedoch beim Erwachsenwerden helfen. Aus den Frustrationen, auf die man in einer intimen Beziehung stößt, kann man viel über sich selbst lernen: Wo die eigenen Schmerzpunkte liegen, welche Bedürfnisse man eigentlich hat. Dieser Prozess dauert ein Leben lang.
Wie war das bei Ihnen? Sie sind auch verheiratet. Haben Sie diesen Wachstumsprozess selbst erlebt?
Sicher. Es ist leider nicht so, dass man nicht die Fehler wie jeder andere macht, nur weil man die Theorie kennt. Ich bin jetzt seit 35 Jahren mit Ruth verheiratet, und vor etwa 20 Jahren standen auch wir kurz vor der Scheidung. Wir waren umgezogen, von New Orleans in Louisiana nach Evergreen in Colorado. An unserem neuen Wohnort kannten wir exakt zwei Menschen. Plötzlich waren wir vollkommen auf uns selbst zurückgeworfen. Wir hatten Stress wegen der Arbeit und unserer Finanzen, und ich fand, Ruth strengte sich nicht genug an, ein neues Leben aufzubauen. Wenn ich daran denke, wie ich sie manchmal angebrüllt habe, schäme ich mich zu Tode. Erst als wir emotional wieder etwas auf Abstand gingen und sich jeder auf sich selbst konzentrierte, bewegten wir uns wieder aufeinander zu. Zum Glück, denn unsere Ehe ist nun reicher denn je.
DAVID SCHNARCH wuchs in der Bronx, New York, auf. Dort studierte er Klinische Psychologie, er promovierte in Michigan und begann in den 70er-Jahren, als Paar- und Sexualtherapeut zu arbeiten. Mit seiner Frau Ruth Morehouse, ebenfalls Klinische Psychologin und Beziehungstherapeutin, entwickelte er eine Therapieform, in der individuelle, sexuelle und Paartherapie kombiniert werden. Seit gut 25 Jahren behandeln Schnarch und Morehouse Paare in der ganzen Welt. Zusätzlich leiten sie das Marriage Family Health Center in Evergreen, Colorado. Schnarchs Ratgeber für Langzeitbeziehungen gibt es auch auf deutsch: "Intimität und Verlangen" (Klett-Cotta).