Corona-Krise: Zwischen Einsamkeit und extremer Nähe
Die einen fühlten sich allein, den anderen war es in der Familie zu eng: Wie uns der Krisenalltag aus der Bahn geworfen hat
Die vergangenen Wochen haben die ganze Welt vor eine Vielzahl unterschiedlichster Herausforderungen gestellt. Neben den wirtschaftlichen, gesundheitlichen und politischen Folgen der Corona-Krise hat diese Zeit auch bei sehr vielen Menschen ganz persönliche tiefe Spuren hinterlassen.
Während manch einer schon tief durchatmen und diese aufwühlende Episode hinter sich lassen kann, zeigen sich bei vielen Menschen die Spuren der Pandemie erst etwas zeitversetzt.
Rückblickend waren in Bezug auf das Alltagsleben besonders zwei Extremsituationen dafür verantwortlich, mit den eigenen Ressourcen an die Grenzen zu geraten – zum einen die Einsamkeit alleinlebender Menschen bedingt durch wochenlange Quarantäne und Isolation, zum anderen die extreme Nähe innerhalb von Familien und Beziehungen. Das, was dem einen zu viel war, war dem anderen zu wenig – so unterschiedlich Menschen sind, so unterschiedlich wurde auch diese Zeit erlebt.
Was aber ist so schlimm daran, wenn der Alltag mal etwas anders als gewohnt verläuft? Warum wirft uns das so schnell aus der Bahn?
Auch wenn die Ausgangslage in beiden Situationen eine vollkommen andere ist, so haben beide eines gemeinsam – das plötzliche Fehlen gewohnter Routinen und Muster. Unser Gehirn liebt es, zu kategorisieren und wiederholende Aktivitäten auszuführen. Das schafft Sicherheit und Vertrauen – erlaubt Vorhersehbarkeit und Kontrolle und gibt uns das Gefühl, uns auf alles vorbereiten zu können, was das Leben bringt. Fallen gewisse Gewohnheiten und Strukturen aber plötzlich weg, stehen wir vor einer Situation, die vollkommen neu für uns ist und im ersten Moment können wir auf keinerlei Erfahrung zurückgreifen, die uns dabei helfen kann, diese zu bewältigen. Mit dieser Unsicherheit umzugehen bedarf einer bewussten Auseinandersetzung mit dem Problem – ein Reflektieren der eigenen Stärken und Ressourcen, wobei die Art und Weise, wie mit derartigen Herausforderungen umgegangen wird, von vielen unterschiedlichen Faktoren abhängt – nicht zuletzt der individuellen Widerstandskraft.
Isolation und Einsamkeit aufgrund einer Quarantäne kann erhebliche Auswirkungen auf das psychische Befinden der betroffenen Person haben. Kurzfristige Folgen sind Gefühle von Verzweiflung, Frustration, Angst und aufgrund der fremdbestimmten Regelungen häufig auch Aggression und Ärger. Je nachdem, wie mit dieser Situation umgegangen wird, kann diese langfristig bis hin zu einer posttraumatischen Belastungsstörung führen, welche gekennzeichnet ist durch psychische Erregung, Schlafstörungen, Konzentrationsprobleme, Reizbarkeit, Wut und depressiver Symptome. Mit einigen Maßnahmen kann man einer langfristigen Traumatisierung allerdings entgegenwirken, indem man beispielsweise ganz bewusst nach Aktivitäten sucht, die dem Alltag möglichst viel Struktur verleihen. Idealerweise teilt man sich den Tag in Arbeits- und Freizeit, macht gezielte Pausen und versucht, auch an solchen Tagen ganz besondere Highlights zu integrieren, die dem Alltag etwas Besonderes verleihen und auf die man sich freuen kann. Ein weiterer wesentlicher Punkt ist der soziale Kontakt, der glücklicherweise heutzutage in den meisten Fällen über unterschiedliche Medien weiterhin aufrechterhalten werden kann. Dieser kann genutzt werden, um einfach nur zu plaudern oder aber auch, um über belastende Gefühle zu sprechen und damit Stress abzubauen. Dass negative Emotionen auftreten, ist vollkommen normal und auch per se nicht gesundheitsschädigend, wenn man angemessen damit umgeht und Wege findet, diese zu verarbeiten. Interessant ist, dass diese Fremdbestimmtheit durch eine gesetzlich verordnete Quarantäne wesentlich besser akzeptiert wird, je mehr Menschen betroffen sind – ein weiteres Argument für die Wichtigkeit des sozialen Austausches, der zeigen kann, dass es anderen Menschen ganz ähnlich geht wie einem selbst.
Gerade dieser soziale Austausch ist etwas, das Menschen in anderen Extremsituationen zum Verhängnis werden kann – nämlich dann, wenn es gar keinen Raum mehr für sich selbst und die eigenen Bedürfnisse gibt. Viele Familien waren in den letzten Wochen gezwungen, den ganzen Tag auf engem Raum miteinander zu verbringen – aber nicht etwa so wie im Urlaub, sondern unter teils harten Bedingungen mit Schulpflicht und Heimarbeit. Wenn man plötzlich so unerwartet viel Zeit zusammen verbringt, erfordert das teilweise eine Veränderung individueller Gewohnheiten und Strukturen. Man ist bei der gemütlichen Tasse Kaffee am Vormittag nicht mehr für sich allein und muss sich eventuell öfters mal aufeinander abstimmen. Hinzu kommt, dass man durch die vermehrte Zeit auch Gelegenheit hat, Dinge anzusprechen, die bisher unter den Tisch gekehrt wurden – ein Umstand, der durchaus auch positiv sein kann. Denn gerade das gemeinsame Überstehen von Krisen und Belastungssituationen kann zusammenschweißen und eine Beziehung bzw. Familie stärken. Man spürt, dass man sich aufeinander verlassen kann und hat wieder Zeit und Gelegenheit, einander näher zu kommen. So kann es sehr hilfreich sein, diese Zeit wirklich als Chance zu betrachten, Prioritäten neu zu ordnen und der Beziehung einen anderen Stellenwert zu geben. Anstatt Angst und Verzweiflung überhand nehmen zu lassen, könnte man sich damit beschäftigen, ganz bewusste Paar- und Familienzeit einzuplanen und zu genießen: gemeinsam kochen und essen, ein Spieleabend, Durchstöbern alter Urlaubsfotos, oder einfach anregende Gespräche, die sonst in der alltäglichen Organisation untergehen.
Im besten Fall lernt man sich und sein Umfeld in einer neuen Situation immer ein Stück weit besser kennen – auch wenn die erste Zeit mühsam sein kann, ist der Gewinn oft ein sehr großer, wenn man wieder gelernt hat, zu welch enormen Leistungen man eigentlich fähig ist.
Ein Gastbeitrag von Instahelp. Das Portal für psychologische Beratung online bietet seine anonyme Beratung als Text-Chat, Video- oder Audiotelefonie an. Alle Instahelp Psycholog*innen sind ausgebildete Klinische- und Gesundheitspsycholog*innen mit mindestens drei Jahren Berufserfahrung in der Vor-Ort-Beratung und Expert*innen auf ihrem Gebiet – egal ob bei Stress, Partnerschaftsproblemen, depressiven Verstimmungen oder, speziell jetzt, Ängsten.