Aufwachsen in einer Regenbogenfamilie
Wie wirkt es sich auf die eigene Entwicklung aus, wenn man mit zwei Müttern oder zwei Väter aufwächst?
Gute Nachrichten: Gleichgeschlechtliche Paare brauchen sich keine Sorgen um ihren (künftigen) Nachwuchs zu machen. Im Durchschnitt hat dieser nicht mehr oder weniger psychosoziale Probleme als Kinder, die mit einem Vater und einer Mutter aufgewachsen sind. Das sagt Erziehungswissenschaftlerin Henny Bos, die schon seit Jahren zu homosexueller Elternschaft forscht und der Entwicklung von Kindern innerhalb dieser Familien. Bos: "Ich habe Kinder mit zwei Müttern und Kinder aus traditionellen Familien an mehreren Punkten in ihrem Leben befragt, und es gab keine Unterschiede."
Sie stellte jedoch fest, dass lesbische Mütter emotional mehr an der Erziehung beteiligt sind als Mütter in traditionellen Familien. Erst wenn die Kinder etwa 15 Jahre alt sind, lassen sich bei ihnen Unterschiede feststellen – und zwar im positiven Sinne. Kinder mit zwei Müttern haben ein besseres Selbstbild und verhalten sich seltener problematisch als Gleichaltrige mit heterosexuellen Eltern. Eine mögliche Erklärung hierfür ist das größere emotionale Engagement der lesbischen Mütter.
Über zwei Väter, die gemeinsam Kinder erziehen, wurde bislang wenig geforscht, da es diese Gruppe noch nicht lange gibt. In Israel etwa hat man die Gehirne schwuler und heterosexueller Väter untersucht. Was zeigte sich? Nicht nur bei Müttern verändert sich das Gehirn dahingehend, dass sie aufmerksamer und sorgsamer werden; dasselbe geschieht auch bei Vätern. Aus einer australischen Studie ging hervor, dass Kinder, die bei gleichgeschlechtlichen Eltern aufwachsen, gesünder und glücklicher sind und bessere Familienbande haben als Kinder aus traditionellen Familien.
Grund hierfür sei laut der Forscher die gute Kommunikation in Familien mit homosexuellen Eltern. Wegen ihrer besonderen Familiensituation besprechen diese mit dem Nachwuchs etwa, wie er mit möglichem Mobbing umgehen kann, und das fördert gegenseitige Offenheit. Henny Bos: "Tatsächlich reagiert das Umfeld auf diese Kinder oft negativ, was durchaus problematisch für sie sein kann, aber nochmals: Messbare Forschungsergebnisse belegen nicht, dass sie dadurch unglücklicher sind als Kinder in einer 'normalen' Familie. Durch die gute Kommunikation in Regenbogenfamilien scheint es sogar, als könnten diese Kinder mit Konflikten besser umgehen."
Trennen sich schwule und lesbische Paare öfter? Die Trennungsquote homosexueller Paare ist hierzulande nicht höher als bei heterosexuellen, im Gegenteil. In Amerika ist das allerdings anders. Bos: "Möglicherweise haben homosexuelle Eltern das Gefühl, alles noch besser machen zu müssen als heterosexuelle. In einem Land, das Homosexuellen gegenüber feindlicher eingestellt ist, kann der soziale Druck am Ende die Beziehung kosten. Positiv ist, dass Kinder lesbischer Mütter weniger unter einer Trennung leiden, da die zwei Frauen fast immer beide an der Erziehung beteiligt bleiben."
In den USA wurde zudem untersucht, ob Jungen mit zwei Müttern in ihrer Entwicklung ein männliches Rollenmodell vermissen und ob ihr Verhalten den gesellschaftlichen Erwartungen entspricht. Auch das Ergebnis war positiv: Die Jungen benahmen sich nicht weniger "männlich" als Jungen mit Vater. Eine vergleichbare Studie unter Mädchen, die von zwei Vätern erzogen wurden, gibt es noch nicht.
Zeigt es sich denn, dass Kinder aus Regenbogenfamilien später selbst öfter homosexuell sind? Dazu Henny Bos: "Ob man Männer oder Frauen liebt, hat nichts mit Erziehung zu tun, es ist angeboren. Im Rahmen meiner Studie habe ich Zwölfjährige gefragt, ob sie glaubten, später einen Partner desselben oder des anderen Geschlechts zu heiraten. Kinder mit zwei Müttern sagten öfter, sie hätten noch keine ausgesprochene Vorstellung dazu. Das heißt nicht, dass sie auf gleichgeschlechtliche Partner stehen würden, aber wohl, dass sie offen für alles sind. Das mag an ihrem toleranten Weltbild liegen, sie finden eben nicht so schnell etwas verrückt.“
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Mehr über Regenbogenfamilien lesen Sie in Ausgabe 5/2017 von PSYCHOLOGIE bringt dich weiter. Dort berichten vier Kinder mit gleichgeschlechtlichen Eltern, wie diese sie geprägt haben. Das Heft können Sie im Shop nachbestellen.